Wozu Vornamen herhalten müssen

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Im deutschen Sprachgebiet ist es üblich, einen Vornamen (oder auch mehrere) zu tragen. Diese treten in ihrer Vollform oder in Kurzformen teilweise auch in Redewendungen auf (den Larry raushängen lassen, jemanden zur Minna machen) oder dienen als verallgemeinernde Bezeichnungen für bestimmte Charaktereigenschaften oder Handlungsweisen wie etwa Heulsuse (von Susanne) oder -fritze (von Friedrich; als Bezeichnung für einen Menschen, dessen Aufgabe man nicht genau benennen kann – der Fernseh-Fritze, der Kabel-Fritze). Zudem gibt es im Rheinland auch Formen wie Stoffel, eine Kurzform von Christoph (teilweise auch Kristoff). Der Vorname geht zurück auf den heiligen Christophorus, einen der vierzehn Nothelfer und Patron der Schiffer, Fährleute und Autofahrer. Er wird häufig als gutmütiger Riese dargestellt; ein Attribut, welches auch auf die Kurzform Stoffel übergegangen ist und im Rheinland für einen dummen Tölpel oder einen ungeschickten, ungefälligen Menschen verwendet wird (RhWB, Band 8, Sp. 732).

Auch Tünnes ist ein typisches Beispiel dieser Kategorie. Je nach Region nimmt der Name unterschiedliche Bedeutungen an (siehe RhWB, Band 8,Sp. 1463): Im ripuarischen Sprachraum werden tölpelhafte Kerle als Tünnes bezeichnet, häufig ist Tünnes als nicht ernst zu nehmender Witzbold bekannt, wohl nach der berühmten Figur aus dem Hänneschen-Theater. Zudem kann die Kurzform Drickes, die im Rheinland als mundartliche Form von Heinrich bekannt ist, für einen ungelenken, unsportlichen Mann oder humorlosen Langweiler verwendet. Und auch die mundartliche Form des Rufnamens Peter wird im Rheinland oft nicht nur als Rufname genutzt, sondern im übertragenen Sinne für ‚Mensch, Kerl oder Junge‘ gebraucht, ein Frierepitter meint dann ‚jemanden, der schnell friert‘. Die große Glocke im Kölner Dom trägt den Beinamen Dicke Pitter – auch auf Gegenstände kann sich also ein Rufname oder seine Kurzform beziehen.

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Wortwolke mit Vornamen
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Kurzformen oder mundartliche Varianten können eine allgemeinere Bedeutung haben als ihre Vollformen | © https://wordart.com/create, CC BY-SA 4.0

Natürlich gibt es auch weibliche Rufnamen, die im Rheinland (und wohl auch darüber hinaus) eine zusätzliche Bedeutung angenommen haben, wie etwa Trina oder Triene (als Kurzform von Katharina oder Christine). Diese Formen dienen oftmals als Bezeichnung für eine unbeholfene, schwerfällige weibliche Person, ful Tring meint gar ein ‚träges Weib‘. Zudem werden auch weit verbreitete Rufnamen verallgemeinert und auf eine ganze Personengruppe übertragen, so etwa bei Minna (Kurzform zu Wilhelmine oder Hermine). Diese Namen wurden im 19. Jahrhundert besonders häufig vergeben und schließlich als Synonym für ‚Dienstmädchen, Hausangestellte‘ verwendet. Sogar eine Küchenmaschine trägt den Namen, der wohl den Hausangestellten zu eigen war. Minna wird aber auch heute teilweise noch verwendet, etwa für den Gefangenentransport der Polizei – die Grüne Minna. Ähnliche Beispiele sind Hinz und Kunz (von Heinrich und Konrad) oder Jan und alleman – sie stehen im Rheinland (und teilweise weit darüber hinaus) für Personengruppen; ihre Grundlage bilden jeweils rheinische Kurzformen häufiger Rufnamen.

Rufnamen dienen so nicht nur als individuelle Bezeichnung einzelner Personen, sondern nehmen auch neue oder verallgemeinernde Bedeutungen an. Wo der Ursprung dieser zusätzlichen Bedeutungen liegt, ist heute häufig nicht mehr zu erklären. Sicher ist nur so viel: Die eigentliche Bedeutung des Namens wird meist vollständig ausgeblendet, der Rufname hat in der Verwendung als Übername eine erweiterte Bedeutung angenommen.

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grüner VW-Bus der Polizei
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Auch dieses ehemalige Fahrzeug für Gefangenentransport ist nach einem Rufnamen benannt: Grüne Minna | © High Contrast, CC BY 3.0 de