Plörre

Text

Die Karte beruht auf der Frage: „Wie nennen Sie einen Kaffee, der nur noch lauwarm oder zu schlapp ist?“ Es sind also zwei verschiedene Bedeutungen, die sich auf den gemeinsamen Nenner „nicht lecker“ bringen lassen. Auf der Karte sind am häufigsten Plörre (blau) und Muckefuck (gelb) zu finden, zwei Bezeichnungen, die aus unterschiedlichen Gründen besondere Aufmerksamkeit verdienen.

Über das Wort Muckefuck zirkulieren so manche Herkunftsgeschichten. Dabei spielen das Französische als Spendersprache und Berlin als Ort des Sprachkontakts die zentralen Rollen. Allerdings ist Muckefuck ein echt rheinländisches Wort (s. Honnen 2012, S. 149-151), das zunächst den ‚Kaffee-Ersatz‘ oder ‚Ersatzkaffee‘ bezeichnet hat und heute auch für das wegen seiner lauwarmen Temperatur nur noch bedingt schmackhafte Getränk gebraucht wird.

Plörre ist aus einem ganz anderen Grund interessant. Das Wort ist ursprünglich wohl nicht im Rheinland beheimatet, hat sich hier aber in den letzten Jahrzehnten stark ausgebreitet. Das zeigt ein Vergleich mit der Karte „der Muckefuck“ im „Wortatlas der deutschen Umgangssprachen“ (Eichhoff 2000, Karte 43). Darauf ist Plörre, zusammen mit Plürre und Plöör, ein Wort der norddeutschen Umgangssprache: Es reicht auf dieser älteren Karte von der Nord- und Ostsee bis nach Westfalen hinunter, für Coesfeld und Bochum wird beispielsweise Plürre genannt. Die hier vorgelegte, auf einem Rheinland-Fragebogen des Jahres 2012 basierende Karte zeigt dagegen, dass Plörre sich inzwischen weiter nach Süden und auch über den Rhein hinaus nach Südwesten ausgebreitet hat.

Bild
Plörre | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0
Bildunterschrift
Plörre | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

Auf der Karte werden die Antworten der (auf 2012 bezogen) 45 bis 64 Jahre alten Gewährspersonen dargestellt. Lagen für eine Kommune zahlreiche Fragebögen für diese Altersgruppe vor, wurden nur zehn für die Karte berücksichtigt (und zwar die der zehn vom Alter her in der Mitte liegenden Personen). Das Kreissymbol ist einfarbig und ungeteilt, wenn für eine Kommune nur eine einzige Variante einzuzeichnen war. Dagegen signalisiert das Halbe-halbe-Symbol, dass zwei Varianten in gleicher Anzahl genannt worden waren. Kam eine Variante häufiger als die zweite vor, wurde das Dreiviertelsymbol gewählt. Lila steht für eine andere zahlenmäßige Variantenkonstellation oder für eine weitere Bezeichnung (die nicht in der Kartenlegende aufgeführt ist).

Für Essen war hier beispielsweise das Dreiviertelsymbol mit Plörre (blau) vor Brühe (dunkelgrün) einzuzeichnen. Damit konnte ein Ergebnis wiederholt werden, das sich bei einer drei Jahre zuvor (2009) in Essen durchgeführten Untersuchung ergeben hatte. Damals hatten 154 Essener:innen einen Fragebogen ausgefüllt, der dieselbe Frage („lauwarm oder zu schlapp“) enthalten hatte. Hinter Plörre und Brühe hatte 2009 Muckefuck den dritten Platz in Essen belegt, gefolgt von Blümchenkaffee, Miege, Lorke/Lorche, Spülwasser, Gesöff, Plempe, Bodensee-/Bodensehkaffee, Mucke und einigen weiteren, jeweils nur einmal vorkommenden Bezeichnungen (s. Cornelissen 2010, S. 90).

Auf der vorliegenden Karte sind für Essen insgesamt 10 der 22 für diese Altersgruppe vorliegenden Fragebögen berücksichtigt worden, wobei neunmal Plörre und zweimal Brühe genannt worden waren (mit einer Mehrfachnennung). Auf dieser Rheinlandkarte für 2012 sind ferner Spülwasser (hellgrün), Blümchenkaffee (orange), Bodensehkaffee (einschließlich Bodenseekaffee, rot) und Schlabberkaffee (braun) eingetragen worden. Bei Bodenseekaffee/Bodensehkaffee und Blümchenkaffee wird darauf angespielt, dass das in der Kaffeetasse vorfindliche Getränk den Blick auf den Tassenboden freigibt, wo dann etwa ein Blümchenmuster sichtbar wird (s. Honnen 2018, S. 69).
Lila ist unter anderem für Kerken am Niederrhein zu finden; dort war neben Plörre noch Schlabberjux genannt worden. Für Overath im Rheinisch-Bergischen Kreis waren drei Bezeichnungen in gleicher Zahl zu dokumentieren, so dass diese Kommune auf der Karte die Farbe lila erhalten hat, nämlich für Brühe, Muckefuck und Blümchenkaffee. Für Meckenheim, südlich von Bonn, zeigt die Karte im Halbe-halbe-Symbol Plörre neben Blümchenkaffee. Eine dritte Gewährsperson dort hatte auf ihrem Fragebogen Prött festgehalten – diese Angabe wurde bei der Auswertung jedoch nicht berücksichtigt. Denn Prött ist eine regionale Bezeichnung für den Kaffeesatz; wenn Prött inne Tasse is, ist das zwar ebenfalls ein triftiger Grund, den Kaffee nicht zu trinken, aber es liegt dann nicht daran, dass er „nur noch lauwarm oder zu schlapp“ wäre.

Die Essener Ergebnisse von 2009 sowie die rheinlandweit im Jahr 2012 erhobenen Bezeichnungen weisen eine enorme Spannweite und Vielfalt auf. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass viele Menschen einen guten Kaffee zu schätzen wissen. Und ist das Getränkt dann „nur noch lauwarm“ oder „zu schlapp“, wird die Enttäuschung darüber bildstark und „knackig“ zum Ausdruck gebracht; in der Sprachwissenschaft nennt man solche Vokabeln „expressiv“.