knibbeln/piddeln

Text

Auf dem Sprachfragebogen 7 (2002) des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte (ILR) konnten die Gewährsleute lesen: "'mit den Fingernägeln bearbeiten/zupfen', z. B. den Schorf von einer Wunde entfernen". Ankreuzen ließen sich die Verben piddeln – bötteln – knibbeln, zudem war in der Rubrik "andere" Platz für Ergänzungen und Kommentare. Die drei genannten Tätigkeitswörter haben in den einzelnen Regionen des Rheinlands verschiedene Verwendungsspektren und Bedeutungsvarianten, vermutlich werden sich auch individuelle Unterschiede feststellen lassen. Im Folgenden geht es zunächst nur um die Verwendung der drei Wörter, wenn zum Ausdruck gebracht werden soll, dass mit Hilfe eines oder mehrerer Fingernägel (mehrmals/ausdauernd) gezupft oder gekratzt wird.

Die Karte zeigt die Antworten der Gewährsleute im Alter von 45 bis 64 Jahren; diese Personen gehörten also den Geburtsjahrgängen 1938 bis 1957 an. Ins Auge sticht eine Dreiteilung des Raums: Im Norden ist knibbeln (grün) die vorherrschende Bezeichnung, im Süden piddeln (orange). In einem Streifen entlang der Grenze zu den Niederlanden und Belgien wurde bötteln (rot) häufig genannt.

Gut zu erkennen ist, dass im knibbeln-Gebiet recht oft lila als zweite Farbe auftaucht (zur kartografischen Methode siehe unten). Zu den Verben, die hier von den Gewährsleuten ergänzt wurden, gehörten fummeln, porkeln, pörkeln, prockeln, plümmen und puhlen. Im Süden, also im piddeln-Gebiet, tritt neben der Farbe Orange auch recht oft das Grün von knibbeln in Erscheinung: Insgesamt kommt knibbeln am häufigsten auf der Karte vor.

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knibbeln/piddeln | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0
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knibbeln/piddeln | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

Von Niederkrüchten am Niederrhein bis nach Monschau in der Eifel ist bötteln beheimatet, dessen Areal in östlicher Ausdehnung Linnich, Langerwehe und Kreuzau noch einschließt. Weiter östlich taucht das Rot von bötteln noch in verstreuten Belegen auf, rechts des Rheins war es nicht in die Karte einzutragen. Kennzeichen des bötteln-Streifens ist die enorme Varianz. Das sei am Beispiel einiger Orte (Kommunen) dargestellt (Lin: Linnich; Wür: Würselen; Aac: Aachen; Sto: Stolberg; Sim: Simmerath; Mon: Monschau; G/N: Zahl der Gewährspersonen/Zahl der Nennungen).

Das Verb knibbeln ist, folgt man dem umgangssprachlichen Wörterbuch von Heinz Küppers, seit dem 15. Jahrhundert belegt (Küpper 1993, S. 433). Verwandt ist es wohl mit knabbeln und knabbern. Im Rheinland kann mensch mit den Fingernägeln knibbeln (siehe oben), aber auch mit den Zähnen (knabbern) oder mit den Augenlidern (zwinkern). Im "Rheinischen Wörterbuch" ist nachzulesen, welches Bedeutungsspektrum das Dialektwort knibbele (und Lautvarianten) hat (Rheinisches Wörterbuch 1928-1971, Band 4, Sp. 928/929).

Zum rheinischen piddeln schreibt Peter Honnen: Das Verb "könnte eine Ableitung von rheinisch Piddel 'Zapfen, beweglicher Holzstift' sein, ein Wort, das bereits im 16. Jahrhundert in Köln belegt ist" (Honnen 2019, S. 404). Im Aachener Dialektwörterbuch werden als Bedeutungen von böttele genannt: "stochern, kleinlich arbeiten, abklauben" (Hermanns 1970, S. 73).

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Nennungen der unterschiedlichen Varianten auf einem ILR-Fragebogen 2002 | © Georg Cornelissen
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Nennungen der unterschiedlichen Varianten auf einem ILR-Fragebogen 2002 | © Georg Cornelissen

Zurück zum Kartenbild: Das Verb knibbeln taucht in der hier abgefragten Bedeutung überall im Rheinland auf: Im Norden als dominierendes Wort, im Süden als zweite Wahl hinter piddeln und in dem erkennbaren Weststreifen als eins der drei konkurrierenden Verben bötteln, knibbeln, piddeln, wobei bötteln in der Altersgruppe 45 bis 64 Jahre den Vorzug erhält.

An der Erhebung im Jahr 2002 haben sich in einer Reihe von Orten auch Schüler:innen und andere junge Leute beteiligt (eine Karte dazu: Cornelissen 2010, S. 105). Fasst man deren Ergebnisse (Altersgruppe 16 bis 24 Jahre) zusammen und vergleicht sie mit der Gruppe 45 bis 64 Jahre, zeigt sich sowohl Stabilität wie Wandel. Im Norden kennen (und benutzen) die Jugendlichen knibbeln wie die älteren Leute. Wie es sich im Aachener Raum und im Süden des Rheinlands verhält, sei anhand der Ergebnisse aus Aachen-Stadt (Aac), Troisdorf (Tro) und Rheinbach (Rhb) veranschaulicht (G/N: Zahl der Gewährsleute/Zahl der Nennungen).

Das Aachener Ergebnis lässt die Vermutung aufkommen, dass bötteln stark auf dem Rückzug ist; dagegen sind knibbeln und piddeln den dortigen Jugendlichen gut bekannt. Auch in Troisdorf und Rheinbach kreuzten viele junge Leute sowohl piddeln als auch knibbeln an. Eine 2011/2012 in Bonn durchgeführte Untersuchung kam ebenfalls zu sehr interessanten Ergebnissen (Rempel 2013, S. 89-91 und 125-127). Mit knibbeln und piddeln konkurrieren demnach heute zwei regionale Bezeichnungen im südlichen Rheinland miteinander. Es dürfte spannend sein, in zehn oder zwanzig Jahren noch einmal nachzufragen.

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Nennungen der verschiedenen Varianten für Aachen und den Süden des Rheinlandes | © Georg Cornelissen
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Nennungen der verschiedenen Varianten für Aachen und den Süden des Rheinlandes | © Georg Cornelissen