Dachboden (45- bis 64-Jährige)

Text

Auf der Karte ist Speicher (rot) am häufigsten zu finden. Es dominiert von der Südgrenze Nordrhein-Westfalens bis auf die Höhe von Grefrath, Kempen, Moers, Oberhausen und Essen. Am nördlichen Niederrhein herrscht Söller (grün) vor, das auch im äußersten Westen des Rheinlands gut belegt ist und darüber hinaus verstreut vorkommt. Die bergische Bezeichnung Oller (gelb) war viermal zu berücksichtigen. Schließlich kommen noch Dachboden (dunkelblau) und Boden (hellblau) vor.

Söller geht auf lateinisch solarium zurück. Damit wurde in römischer Zeit ein flaches Dach oder eine Terrasse bezeichnet. Nachdem die Germanen das Wort übernommen hatten, haben sie es lautlich verändert und ihm im Laufe der Zeit neue Bedeutungen gegeben. Speicher ist ebenfalls ein lateinisches Lehnwort; Vorbild war spicarium, ein Wort, in dem spica ‚Ähre’ enthalten ist. Das spicarium war also der Kornspeicher. Die Etymologie von Oller (oder Ohler; im Dialekt: Older, Ouler, Auler) ist nicht sicher, vielleicht leitet es sich von lateinisch olla/ulla ‚Tontopf, Topf‘ her (siehe Lausberg/Möller 2000, Karte 55).

Bild
Dachboden | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0
Bildunterschrift
Dachboden | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

Über die Dialektverhältnisse im 20. Jahrhundert sind wir gut informiert; zwei Karten, die auf Umfragen in den Jahren 1923 und 1996 basieren, geben Auskunft über die räumliche Verteilung der einzelnen Bezeichnungen. Dem umgangssprachlichen Söller entsprechen in den Dialekten unter anderem die Lautformen Sölder und Solder, aber auch Söller. Als die Redaktion des „Rheinischen Wörterbuchs“ im Jahr 1923 auf ihrem Fragebogen nach den Dialektbezeichnungen für den Dachboden fragte, zeichnete sich ein Söller-Gebiet ab (Söller, Sölder, Solder), das vom Niederrhein über Mönchengladbach, Düren und Aachen hinaus bis in die Nordeifel reichte; die Karte ist im Band 8 erschienen (Rheinisches Wörterbuch 1928-1971, Band 8, Sp. 195/196). Eine ganz ähnliche Verteilung weist die themengleiche Karte im „Rheinischen Wortatlas“ auf (Lausberg/Möller 2000, Karte 55).

Dagegen hat sich im regionalen Alltagsdeutsch, wie auf der hier präsentierten Karte gut zu erkennen ist, mehr und mehr Speicher durchgesetzt. Speicher schiebt sich von Süden her vor, so dass das Söller-Gebiet immer kleiner wird. Am „untersten“ Niederrhein, im Raum Kleve-Wesel-Geldern, scheint sich das alte Söller am besten zu behaupten. Die bergische Bezeichnung Oller kommt in der heutigen Alltagssprache offenbar nur noch selten vor.

Die Karte, die auf der ILR-Fragebogenerhebung des Jahres 2005 beruht, dokumentiert die Antworten der Altersgruppe 45–64 Jahre (bezogen auf 2005). Lagen für eine Kommune zahlreiche Fragebögen für diese Altersgruppe vor, wurden nur zehn für die Karte herangezogen, und zwar die der zehn vom Alter her in der Mitte liegenden Personen. Das Kreissymbol ist einfarbig gefüllt, wenn für diese Kommune nur eine einzige Variante gemeldet worden war. Dagegen zeigt das Halbe-halbe-Symbol an, dass zwei Varianten gleich stark waren. Kam eine Variante häufiger als die zweite vor, wurde das Dreiviertelsymbol gewählt. Lila schließlich steht entweder für eine andere zahlenmäßige Variantenkonstellation oder für eine weitere Variante (die nicht in der Kartenlegende aufgeführt ist).

Die Karte vereinfacht also, mit Varianz muss gerechnet werden. Das sollen einmal die Zahlenwerte für sieben ausgewählte Kommunen verdeutlichen (So Söller, Sp Speicher, Da Dachboden, Bo Boden, Ol Oller):
                          Sö        Sp        Da       Bo       Ol
Moers                2          4          1          0          0
Krefeld               5          7          1          0          0
Hilden                1          2          1          0          0                     
Bergheim           3          7          1          0          0
Aachen              4          8          0          1          0
Solingen            3          3          0          0          2 

Der Vergleich verschiedener Altersgruppen führt zu dem Ergebnis, dass die jungen Leute im Rheinland heute stark zu Dachboden tendieren (siehe Cornelissen 2008, S. 56-59). In der Gruppe der 16- bis 24-Jährigen (bezogen auf 2005) geht Söller im Rheinland weiter zurück. Söller ist heute vor allem noch Jugendlichen am nördlichen Niederrhein bekannt; in Kevelaer kreuzten immerhin noch 15 von 23 jungen Leuten dieses Wort an. Speicher, das in der regionalen Umgangssprache älterer Leute Söller beerbt hat, verliert vielerorts jedoch seine Position schon wieder an Dachboden, was sich auf der entsprechenden Karte im „Atlas zur deutschen Alltagssprache“ auch anderswo abzeichnet (siehe Atlas zur deutschen Alltagssprache, Runde 2).

Hier sei noch das Gesamtergebnis aus Mönchengladbach vorgestellt (nach Cornelissen 2014, S. 67), gegliedert nach dem Alter der Gewährspersonen (65+: Altersgruppe 65 und älter; 45-64: Altersgruppe 45 bis 64 Jahre; 25-44: Altersgruppe 25 bis 44 Jahre; 16-24: Altersgruppe 16 bis 24 Jahre):

             Sö        Sp        Da       Bo
65+        15        35          3         0
45-64     12        31          4         2
25-44      0         13          0         1
16-24      1         33         21        2  

In Mönchengladbach kreuzt also bereits die älteste Altersgruppe (65+) mehrheitlich Speicher an, während Söller (nur noch) den zweiten Platz belegt. Für die Gruppe der 45- bis 64-Jährigen zeigt sich ein ganz ähnliches Bild. Dagegen nennen die Mönchengladbacher:innen im Alter zwischen 25 und 44 Jahren (bezogen auf 2005) kaum noch Söller. Bei den Jugendlichen kommt dann Dachboden stark auf. Bemerkenswert dabei ist, dass Speicher im Jahr 2005 in allen Generationen dominiert, während sich in dessen „Schatten“ eine alte Bezeichnung verabschiedet und eine neue sich Geltung verschafft.