Mülheim

Lautung

Text

Am westlichen Rand des ostbergischen Dialektgebietes liegt Mülheim an der Ruhr. Die Stadt heißt im lokalen Dialekt Mölm, der Dialekt selber Mölmsch-Platt.
 
Mülheims Lage nördlich der Benrather und Uerdinger Linien verrät bereits, dass die Zweite Lautverschiebung im Mölmsch-Platt nicht stattgefunden hat. Das lässt sich anhand der Wenkersätze auch gut belegen:

WS5: Den goude aule Kähl ös mit'm Päd dor't Is geschoote on in't kaul Water gefalle.
„Der gute alte Mann ist mit dem Pferd durchs Eis gebrochen und ins kalte Wasser gefallen.“

WS7: Heh ett de Eier ömmer oane Sault on Peper.
„Er isst die Eier immer ohne Salz und Pfeffer.“

WS40: Ek sin met de Lüht do achter öwer de Wiesche int Kon gefahre.
„Ich bin mit den Leuten da hinten über die Wiese ins Korn gefahren.“

Statt der Zweiten Lautverschiebung entdeckt man im Mülheimer Dialekt ein anderes interessantes Phänomen, das den Verschlusslaut g betrifft. Der Lehrer, der Wenkers Fragebogen im 19. Jahrhundert ausfüllte, erklärte bereits, dass das g am Wortanfang wie in geben oder groß wie ein „leises ch“ klinge. Damit gemeint ist der ch-Laut wie in ich. Außerdem berichtet er, seine Schüler:innen könnten das g und das ch in zeigen und Zeichen nicht unterscheiden. In später veröffentlichten Grammatiken wie Emil Maurmanns „Grammatik der Mundart von Mülheim an der Ruhr“ von 1898, als auch Gerhard „Chėrd“ Harderings „Wörterbuch und Grammatik der Mülheimer Mundart Mölmsch-Platt“, das er wohl in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts verfasste, wird jedoch etwas Anderes beschrieben: Das g am Wortanfang höre sich an wie das ch in ach. Es ist durchaus möglich, dass sich die Aussprache in dieser Hinsicht über die Jahrzehnte hinweg gewandelt hat.

Bild
Ein Hinweisschild am Witthausbusch in Mülheimer Mundart. | © Ruesterstaude, CC-by-sa-3.0
Bildunterschrift
Ein Hinweisschild am Witthausbusch in Mülheimer Mundart. | © Ruesterstaude, CC-by-sa-3.0

Grammatik

Wie im Standarddeutschen gibt es auch im Mülheimer Dialekt mehrere Möglichkeiten, den Plural von Substantiven zu bilden. Einige davon ähneln oder gleichen Strukturen des Standarddeutschen, aber es gibt auch Abweichungen. Besonders interessant sind hier die Wörter, deren Pluralbildung Maurmann 1898 folgendermaßen beschreibt:

dax ‚Tag‘ ~ dā:x ‚Tage‘
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pēt_ ‚Pferd‘ ~ pē:t ‚Pferde‘
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rink_ ‚Ring‘ ~ ring ‚Ringe‘
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tount_ ‚Zahn‘ ~toun ‚Zähne‘

Wie man sieht, enthält die Mehrzahl in diesen Beispielen keine Endung (wie in Hund ~ Hunde) und keinen Umlaut (wie in Apfel ~ Äpfel). Stattdessen ändern sich die Vokallänge und der Silbenauslaut. Außerdem – und das ist schwierig, schriftlich zu notieren – weisen diese Plurale sogenannte Tonakzente auf.

Neuere Quellen zum Mölmsch-Platt zeigen jedoch, dass diese Art der Pluralmarkierung nicht mehr zum Einsatz kommt. Hardering gibt in seinem 2017 erschienenen Wörterbuch diese Formen an:

Daach ‚Tag‘ ~ Daage ‚Tage‘

Pääd ‚Pferd‘ ~ Pääd ‚Pferde‘
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Rėng_ ‚Ring‘ ~ Rėnge ‚Ringe‘
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Taunt_ ‚Zahn‘ ~ Tain ‚Zähne‘

Die Autoren nutzen unterschiedliche Schreibweisen für identische bzw. ähnliche Laute. Die sprachlichen Unterschiede liegen aber tatsächlich im Wortaufbau. Dank der vergleichsweise guten Dokumentation des Mölmsch-Platt kann man also nachvollziehen, wie sich bestimmte Bereiche dieser Sprachvarietät in einem relativ kleinen Zeitraum verändert haben.