Christine
Ein schönes Beispiel für volkssprachige, weltliche Dichtung im mittelalterlichen Köln ist der Schwank "Stynchyn van der Krone". In dieser Erzählung, die etwa um 1420 entstanden ist, wird Stynchyn, Wirtin des Gasthauses "Zur Krone", von vier Männern umworben, die aus verschiedenen Dialektgebieten stammen (Köln, Nürnberg, Westfalen, Rotterdam). Die Darstellung der vier Freier, ihrer Kleidung, ihrer Umgangsformen und vor allem ihrer Sprache, gibt uns einen Einblick in die Vorstellungswelt dieser Zeit. Doch nicht die dargestellten Merkmale der unterschiedlichen Dialekte sollen uns hier interessieren, sondern der Vorname der Wirtin: Stynchyn. Wirkt der Name auf den ersten Blick – insbesondere durch die Schreibung – sehr fremd, so handelt es sich doch um die Kurzform eines Namens, der auch heute noch sehr verbreitet ist: Christine bzw. Christina.
Neben Maria und Katharina handelt es sich bei Christine/a um einen der zeitweise häufigsten weiblichen Vornamen im Rheinland, bereits im 11. und 12. Jahrhundert ist er in der Region sehr häufig. Diese Beliebtheit ist in dieser Zeit natürlich auf den christlichen Ursprung zurückzuführen: Es handelt sich hierbei um die weibliche Form des Namens Christian, der wiederum auf lat. Christianus 'zu Christus gehörend, Anhänger Christi, Christ' (zu griech. Christós 'der Gesalbte') zurückgeht. Wie üblich bei häufig vergebenen Vornamen, haben sich mit der Zeit viele Kurz- und Koseformen des Namens entwickelt, auch um Frauen gleichen Namens eindeutiger benennen zu können. Viele der Varianten sind vom jeweiligen Dialekt geprägt. Das Rheinische Wörterbuch (Bd. 4, Sp. 1538-1539) gibt einen guten Einblick in die Formenvielfalt: Krestin (Kempen-St. Hubert), Kresting (Solingen), Stina, Stinche, Sting (Ripuarisch), Stineke, Sting(ke), Tina, Tien (Südniederfränkisch), Stin(eken), Stina (Kleverländisch). Die schriftliche Überlieferung aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit zeigt, dass diese Namenvarianten meist schon sehr alt sind: Heisterbach: 1344 Styne, 1398 Styn, 1443 Stynchin, Xanten 1359-1449 Stiny, Styneken, Styntken, Köln: 1365 Stina, 1389 Styna, 1400 Cirstgin, 1440 Cyrstgin, 1441 Kirstgin, 1629 Stingen, 1632 Stinges; Erkelenz 14./15. Jh.: Stenken, Stin/en, Stinken, Styna, Stynken; Gladbach: 1527 Styntgen, 1544 Stingen, 1580 Steyne, 1596 Christin, Mühlheim/Ruhr 1610-38 Stien (Seibicke 1996, S. 403-405). Wie bei den Verniedlichungsformen von Katharina, wird auch hier ein Nord-Süd-Gegensatz deutlich: Das Kleverländische und Südniederfränkische nördlich der Benrather Linie hat -ke-Formen (Stineke, Stingke), das Ripuarische im Süden hat –che-Formen (Stinche). Teile des ripuarischen und des südniederfränkischen Sprachraums teilen sich eine weitere rheinische Besonderheit: Namenvarianten mit Velarisierung, bei denen n zu ng wird (Kresting, Sting, Stingke).