Schreibung rheinischer Ortsnamen

0y, oi, ai, eu, oe und ae in rheinischen Ortsnamen

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Alle Rheinländer:innen kennen das. Sobald Besucher:innen oder auch Sprecher:innen im Radio oder Fernsehen rheinische Ortsnamen erwähnen, ist Heiterkeit garantiert. Man kann darauf wetten, das Ortsnamen wie Orsoy, Kevelaer, Schaephuysen, Neukirchen-Vluyn oder Rheurdt falsch ausgesprochen werden. Aber woher sollen Fremde auch wissen, dass Moers und Duisburg mit Umlaut, Grevenbroich, Korschenbroich, Roisdorf und Troisdorf dagegen mit einem langen o und Straelen oder Baerl mit einem langen a gesprochen werden? Und das sind nur einige wenige Beispiele! Die seltsamen Schreibungen finden sich, sieht man vom angrenzenden Westfalen einmal ab, in dieser Ballung nur im Rheinland. Nur hier hat sich in den Namen (auch in vielen Familiennamen) eine alte Schreibung erhalten, die von der standarddeutschen Orthographie deutlich abweicht. Man kann das Gebiet, in der diese Schreibungen zu finden sind, ziemlich genau eingrenzen.

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Rheinische Orts- und Familiennamen mit Längenkennzeichnung | © Karl Meisen 1956
Bildunterschrift
Rheinische Orts- und Familiennamen mit Längenkennzeichnung | © Karl Meisen 1956

i als Dehnungsanzeiger

Dabei fällt auf, dass die oi-Schreibungen überwiegen und meist im zentralen Rheinland zwischen Krefeld und Bonn zu finden sind. Nördlich davon treten sie nur sporadisch auf (und dann oft in der Variante oy), im Süden endet das Verbreitungsgebiet ziemlich exakt an der bekannten dorp-dorf-Dialektgrenze, die auch als Vinxtbachlinie bekannt ist und das ripuarische Rheinland vom moselfränkischen trennt. Es handelt sich hierbei oft um Ortsnamen auf -broich (Bruch, in der Bedeutung 'Sumpf- und Moorland') wie Kleinenbroich oder auch Broichhausen, daneben finden sich aber auch Namen wie Anstois, Hoisten, Noithausen, Loikum, Voißel, Moitzfeld oder Froitscheidt. Am Niederrhein kennt man noch Loyenhof und Noyshof. In allen diesen Fällen sind das i oder y alte Dehnungszeichen, die in der Aussprache ein langes o erfordern. Das gilt natürlich auch für Ortsnamen, die zu Familiennamen geworden sind wie Froitzheim oder Voiswinkel, aber auch bei anderen Familiennamen wie Joist, Voigt oder Voißen, selbst wenn deren Aussprache heute oft schon der Schreibung angepasst ist.

Das bekannte Schloss Moyland am nördlichen Niederrhein, in dem heute das Beuys(!)-Museum untergebracht ist, gehört übrigens nicht in diese Reihe. Hier stand wohl das niederländisch/mundartliche moi ('schön') Pate, weshalb hier auch der Diphthong wie geschrieben so gesprochen wird. Und um es für Fremde ganz kompliziert zu machen, werden die Namen Orsoy und In der Oye (im Kreis Kleve) als Orsau oder Au gesprochen. Dahinter versteckt sich das Wort Aue (Orsoy ist demnach die 'Ochsen- oder Rossaue'), das auf ein altes ooi (im Niederländischen noch heute gebräuchlich) zurückgeht und im Rheinischen oy geschrieben und au gesprochen wurde.

Das i als Dehnungsanzeiger erscheint sporadisch auch in der Kombination mit a: Maisdörpe oder Raitzhof. Hier hat sich die Aussprache allerdings mittlerweile der Sprache angepasst. Das gilt auch für Familiennamen. So müsste die berühmte Bonner Orgelbauerfamilie Klais eigentlich Klaas ausgesprochen werden, aber das tut schon lange niemand mehr.

e als Dehnungsanzeiger

Bei dem Dehnungszeichen e als Marker für ein langes a ist das noch anders. In Ortsnamen wie Baerl, Baesweiler, Gaesdonck, Schaephuysen, Straelen, Eversael oder Wittlaer wird heute genau so ein langer Vorkal gesprochen wie in den Familiennamen Klaes, Maes, Tenhaef oder Daemen.

Kompliziert wird es wieder bei der Kombination oe. Die kann nämlich sowohl für ein langes u als auch ein langes o stehen. Das hängt davon ab, wo man sich gerade befindet, denn der ursprünglich lange o-Laut, für den oe im Niederdeutschen eigentlich stand und heute noch steht, wandelte sich im Niederländischen zu einem langen u. Deshalb werden die Orte nahe der niederländischen Grenze (Niersbroek, Boeckelt, Oesbeek) in den Kreisen Wesel und Kleve auch mit einem langen u, das münsterländische Coesfeld oder das Essener Hugenpoet dagegen mit einem langen o gesprochen. Wie sich die Schreibgewohnheiten der Lautung anpassen, kann man an dem kleinen Flüsschen Rur sehen, das als Roer noch in Roerbrücke bei Heinsberg und natürlich im niederländischen Roermond weiterlebt.

Sonderfälle

Im Ortsnamen Moers (heute auch oft schon Mörs) hat es dagegen in den überlieferten Formen nie ein langes u gegeben, stattdessen findet sich unter anderen die Variante Meurs. Die erinnert natürlich an den Namen Rheurdt, der ebenfalls mit einem langen ö gesprochen wird. Und in der Tat war das eu früher wie noch heute im Niederländischen das Zeichen für ein langes oder halblanges ö. Eine andere Schreibgeschichte wiederum haben die bekannten Ortsnamen Eupen, Euskirchen oder Fleuth, die heute nach dem Schriftbild ausgesprochen werden, in der Mundart aber noch Öpe, Öskirche oder Flöt heißen.

Einzig im Fall ui gibt es keine Zweifel. Diese Kombination wird im Rheinland immer als langes ü gesprochen wie in Buir, Duisburg, Duisdorf oder Gruiten. Je nach Schreibtradition kann das i durch ein y ersetzt sein. Diese Variante findet sich wieder nur am Niederrhein in Namen wie Vluyn, Schaephuysen oder Holthuysen.

Fazit

Nur im Rheinland vom nördlichen Niederrhein bis hinunter zur Ahr hat sich also in Orts- und auch noch in Familiennamen eine alte Orthographie erhalten, die in der Längenbezeichnung durch einen (stummen) Vokal deutlich von der Dudenschreibung abweicht. Dabei überwiegt im Norden die oe-Schreibung, während im Süden die oi-Namen häufiger anzutreffen sind. Das e als Längenzeichen ist eindeutig ein Erbe der niederländisch-niederrheinischen Schreibtradition am Niederrhein, während das längende i einmal in(mittel-)rheinischen Schreibstuben sehr beliebt gewesen ist. Die lange Tradition dieser Dehnungszeichen hat sicher auch mit der engen Verschränkung der niederländischen und deutschen Kulturräume in unserer Region zu tun. Dies erklärt wohl auch die relativ scharfe Grenze dieser Schreibvarianten entlang der Ahr. Südlich davon hat sich die neuhochdeutsche Rechtschreibung schon früh nahezu flächendeckend in den Namen durchgesetzt. Somit ist das - nördliche - Rheinland ein interessantes namenkundliches Reliktgebiet.