Wo endet ein Dialekt und wo beginnt eine Sprache?

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Das Internet steckt voller Informationen, die nicht alle in unserer Muttersprache verfügbar sind. Wie praktisch ist es da, dass verschiedene Werkzeuge vorliegen, um Texte automatisch zu übersetzen. In den letzten Jahren sind diese Übersetzungen auch immer verlässlicher geworden. Hin und wieder gibt es jedoch immer noch Stolperfallen, wie wenn der TikTok-Algorithmus Jiddisch und Deutsch für dieselbe Sprache hält oder Spotify anbietet, Liedtexte auf Kölsch ins Deutsche zu übersetzen. Oder ist das so richtig?

Tatsächlich stehen diese Spracherkennungen vor den gleichen Herausforderungen wie Linguist:innen. Die Frage, wo genau die Grenze zwischen Sprachen und Dialekten verläuft, ist schwierig zu beantworten. Ein geflügeltes Wort besagt auf Jiddisch "a shprakh iz a dialekt mit an armey und flot" - oder auf Deutsch: "Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Flotte". Die intuitive Antwort lautet wohl: "Wenn sich die Sprechweise unterscheidet, man einander aber versteht, ist es ein Dialekt. Wenn man nichts versteht, ist es eine andere Sprache." Haben Sie den jiddischen Satz oben verstanden? Gut möglich. Haben Sie jemals mit einem Menschen aus einem anderen Teil der deutschsprachigen Länder gesprochen, ohne ihm sprachlich folgen zu können? Wahrscheinlich. Und doch gelten zum Beispiel das Ripuarische, das Oberpfälzische und das Sächsische als Varianten des Deutschen und nicht als eigene Sprachen. Sprecher:innen des Moselfränkischen verstehen eine Unterhaltung auf Hochdeutsch sicher auch besser als andersherum. Über die gegenseitige Verständlichkeit kommt man der Antwort also nicht viel näher.

Eine weitere Möglichkeit zur Unterscheidung von Sprache und Dialekt ist, zu überprüfen, inwieweit eine Varietät von der Standardsprache, wie sie in offiziellen Medien und Administration verwendet wird, abweicht. Keine überregionale Zeitung wird Artikel im Kleverländischen Platt veröffentlichen und auch Bundestagsdebatten werden nicht auf Kölsch geführt, sondern in der Standardsprache Hochdeutsch. Dieses Prinzip lässt sich aber nicht in allen Ländern anwenden. In Norwegen zum Beispiel gibt es gleich zwei Schriftsprachen und für viele Wörter mehrere zulässige Varianten, um alle Dialekte zu berücksichtigen. Auch im Fernsehen sprechen alle so, wie sie es von zu Hause kennen, ohne aus Rücksicht oder Prestigegründen auf eine Standardsprache zurückzugreifen. Darüber hinaus verstehen Norweger:innen Sprecher:innen des Schwedischen und Dänischen, was auf Gegenseitigkeit beruht. Trotzdem sagen die Skandinavier:innen selbst: In den verschiedenen Ländern werden verschiedene Sprachen gesprochen. Dem gegenüber stehen die arabischsprachigen Länder, deren Bewohner:innen nicht ohne weiteres miteinander kommunizieren können. Ihr Selbstverständnis ist trotzdem, dass sie alle eine Sprache sprechen: Arabisch.

Am Ende steht fest, dass es keine eindeutige Antwort auf die Frage gibt, wo die Grenze zwischen Dialekt und Sprache zu ziehen ist. Unsere Sprache(n) ist (oder sind) ein Teil unserer Identität. Und ob sie dem landesweiten Standard entsprechen, also eine Armee und eine Flotte haben, oder nicht: Jede Sprachvarietät hat ihre Berechtigung und ist genauso viel wert wie jede andere.

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Screenshot der App Spotify
Bildunterschrift
Kölsch ist nicht Deutsch?!