Jünglein

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Wäldchen, Büschel, Ländle, Steppke, Studi und Jünglein – Formen wie diese werden in der Sprachwissenschaft als Verkleinerungsformen (= Diminutive) bezeichnet. Im Standarddeutschen dienen -chen (Wäldchen, Briefchen, Fläschchen), -el (Büschel), -le (Ländle), -ke (Steppke), -i (Studi, häufig auch bei Rufnamen verwendet wie etwa Rudi oder Claudi) sowie -lein (Büchlein, Jünglein) als Diminutivendungen, die an Substantive angehängt werden, um Verkleinerung oder Zuneigung dieser anzuzeigen. So bezeichnet Wäldchen also einen kleinen Wald, Büchlein ein Buch in kleinerem Format und Jünglein einen kleinen oder besonders jungen Jungen. In den Dialekten stehen den Sprechenden zudem weitere Bildungsformen zur Verfügung.

Im Rheinland dominieren in den Dialekten die Diminutivendungen -chen (oder -schen) sowie -ken. Die Grenzlinie ist etwa auf Höhe der Benrather Linie zu suchen – oberhalb dieser lautet die Verkleinerungsendung zumeist -ke, südlich davon dann -chen. Grund hierfür ist ein Lautwandel, bei dem die Laute p, t und k nördlich der Benrather Linie und zu pf, ts und ch verschoben wurden. Im südlichen Teil des Rheinlandes wird nach bestimmten Lauten zudem die Endung -(s)je genutzt, um Verkleinerung anzuzeigen oder Zuneigung auszudrücken: FassFässje ‚Fässchen‘, StoffStöffje ‚Stübchen‘. Und eine weitere Besonderheit wird in den Dialekten sichtbar; bei Substantiven auf g, ng, k oder ch wird am Niederrhein häufig ein -s- eingeschoben: Jung/JongJünkske/Jönkske. Im Süden des Erhebungsgebietes hingegen erhalten diese oftmals ein zweisilbiges Bildungselement der Form el+che: Jung/JongJüngelche/Jöngelche.

Bild
Jünglein | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4:0
Bildunterschrift
Jünglein | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4:0

Auf dem Fragebogen des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte (ILR), der im Jahr 2017/2018 an die Gewährspersonen verteilt wurde, wurden neben Fragen zur Aussprache und Lexik auch nach einzelnen grammatischen Phänomenen gefragt. So lautete etwa eine der Fragen bei der Erhebung „Übertragen Sie bitte in den Dialekt: Die Verkleinerungsform von „Junge“ („Jünglein“).“

Auf der abgebildeten Sprachkarte wird die Verbreitung der einzelnen Diminutivendungen, die im Dialekt verwendet werden, deutlich. Dabei zeigt die Karte eine klare Trennung der unterschiedlichen Suffixe auf: Während im nördlichen Teil des Rheinlandes Formen auf -(s)ke dominieren, sind im Süden vor allem jene mit -(e)lche zu finden. Das Gebiet, in dem Varianten mit der Endung -(s)ke überwiegen, reicht von Kranenburg (Jöngske) und Emmerich (Jöngske) im Norden des Erhebungsgebietes über Xanten (Jöngske), Voerde-Möllen (Jöngsken), Rheurdt (et Jöngske), Krefeld (Jönske) und Mülheim an der Ruhr (Jüngke, Jüngske) bis nach Gangelt (Jöngske, Jüngske), Mönchengladbach (Jöngske, Jönke), Düsseldorf-Unterrath (Jünke) und Wuppertal-Cronenberg (Jönken). Südlich davon schließt sich dann das Areal an, aus dem fast ausschließlich Formen auf -(e)lche gemeldet wurden. Es erstreckt sich von Jüchen-Garzweiler (Jöngelche), Dormagen (Jüngelsche) und Wipperfürth (Jüngelchen) über Düren (Jöngelsche, Jüngelsche), Köln (Jüngelche, Jüngelsche) und Lindlar (Jöngelchen, Jüngelschen) bis zur Landesgrenze nach Rheinland-Pfalz. Eine kleine Enklave wird ebenfalls auf der Sprachkarte sichtbar: In einem kleinen Gebiet bei Aachen und Würselen meldeten die Gewährspersonen keine der beiden obigen Varianten, sondern jene, die auf -(s)je endet: Jöngsje, et Jöngsje, Jüngsje. Dabei handelt es sich wohl um Reliktgebiet, welches ehemals größer war (siehe auch die Sprachkarte zu Büchlein). Diese Variante auf -(s)je ist eine typische Mischform beider vorheriger Formen: Zum einen beinhaltet sie das Suffix -je, welches im Süden des Rheinlandes gängig ist, zum anderen den niederrheinischen Zwischenlaut -s-.

Grundlage der abgebildeten Sprachkarte bilden die Antworten der Gewährspersonen zum Sprachfragebogen 11 (2017/2018). Jedes Symbol auf der Karte steht für einen Ortspunkt. Meldeten die Teilnehmenden für einen Ort eine einzelne Variante oder wurde eine Variante häufiger als andere dort gemeldet, so erhielt der Ort einen Punkt in der entsprechenden Farbe (siehe Legende). Wurden zwei oder mehr Varianten mit der derselben Häufigkeit oder ein Synonym, welches nicht in der Legende steht, angegeben, wurde ein lilafarbener Punkt kartiert. Das ist besonders im Übergangsgebiet zwischen den beiden großen Gebieten auf -(s)ke und -(e)lche der Fall.