200 Jahre Kölner Karneval – Wie Dialekt die Karnevalsmottos veränderte

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Obwohl der Begriff Karneval fundamental ist für die Festlichkeit, ist er aus dem Wortschatz der Kölner Karnevalsmottos so gut wie verschwunden. Tauchte er bis ins frühe 20. Jahrhundert regelmäßig in den Kölner Mottos auf (im 19. Jahrhundert z. T. sogar noch in der Schreibweise Carneval), zeichnet sich die Nachkriegszeit durch eine lange Periode von Mottos aus, in denen dieser Begriff nicht mehr benutzt wird. Und auch andere Begriffe, die man typischerweise mit der fünften Jahreszeit verbindet, scheinen mehr und mehr aus dem Kölschen Mottowortschatz zu verschwinden.

Nach dem zweiten Weltkrieg beobachten wir einen drastischen sprachlichen Wandel in den Kölner Karnevalsmottos von der Standardsprache zum Kölschen Dialekt. Waren die Jahrzehnte davor sämtliche Mottos (mit Ausnahme von den Jahren 1843 und 1936) auf „Hochdeutsch“, läutet die Nachkriegszeit eine neue sprachliche Ära des Karnevals ein. Die folgenden Jahre sind die Mottos meist auf Kölsch, und die wenigen standardsprachlichen Mottos, die alle paar Jahre mal dazwischen auftauchen, nehmen auch an der Zahl ab: Zwischen 1960 und 1980 waren es noch 14 standarddeutsche Mottos, in den letzten zwanzig Jahren hingegen gab es nur noch zwei Jahre, in denen die Mottos nicht auf Kölsch waren (nämlich 2001 und 2011). Auch einige „Hybrid-Mottos“, die sowohl standardsprachlich als auch auf Kölsch sind, tauchten auf, z. B. 1997 „Nix bliev wie et es – aber wir werden das Kind schon schaukeln“.

Mit diesem Übergang von Standarddeutsch zu Dialekt geht auch eine Veränderung in der syntaktischen Struktur einher. Bis zum zweiten Weltkrieg waren die Mottos meist nur eine sog. Nominalphrase, eine Art „Schlagwort“, kein vollständiger Satz, oft bestehend aus einem Nomen mit Artikel („Die Prüfung“, 1827), ggf. einem Adjektiv („Hanswurstliche Industrie-Ausstellung“, 1857) oder einer Genitivkonstruktion („Der Sieg der Freude“, 1825). Ganze Sätze, wie 1889 „Die Künste huldigen dem Prinzen Karneval“ sind rar gesät, insgesamt nur sieben Mottos sind Hauptsätze. Dies jedoch verändert sich nach dem Krieg drastisch. Insgesamt 33 Mottos und damit mehr als die Hälfte weisen nach dem Krieg ein Hauptsatzschema auf, z. B. 1949 „Mer sin widder do un dunn wat mer künne!“ oder das Motto vom letzten Jahr 2022 „Alles hät sing Zick“. Interessant dabei zu beobachten ist, dass über die Hälfte der Mottos mit Hauptsatzstruktur Kölsche Mottos oder Hybride sind. Bei Mottos mit Nominalphrasenstruktur hingegen halten sich Standarddeutsche und Kölsche die Waage.

Doch nicht nur die syntaktische Struktur verändert sich. Auch im Vokabular können wir Wechsel feststellen. Das bis zum zweiten Weltkrieg häufig verwendete Wort Karneval/Carneval (sowohl in Bezug auf das Fest als auch den Prinzen) wird nach Kriegsende (erstmalig 1973) durch das Kölsche Wort Fastelovend ersetzt. Zwei Ausnahmen gibt es, nämlich das Motto von 1982 („Karneval der Schlagzeilen – Närrische Nachrichten“) und das aus dem Folgejahr 1983 („Es war einmal… Kölner Karneval wie ein Märchen“), das schließlich die letzte Verwendung des Wortes Karneval in den Kölner Mottos darstellt.

Ab da an wird ausschließlich Fastelovend verwendet – sogar in den wenigen standarddeutschen Mottos der späten 80er und 90er Jahre. Der dialektale Begriff hat hier, zumindest in den Mottos, den standardsprachlichen Begriff vollständig ersetzt. Die einzige Ausnahme ist nur noch das diesjährige Motto „200 Jahre Kölner Karneval: Ov krüzz oder quer“ (2022).

Ein weiterer Begriff, der langsam aber sicher aus dem Kölner Fastelovend verschwindet, ist Narr bzw. seine adjektivische Entsprechung närrisch. Insgesamt sieben Mottos sind es bis 1900, in denen eines der beiden Wörter vorkommt. Im 20. Jahrhundert sinkt die Zahl schon auf drei; die letzte Verwendung findet sich im standardsprachlichen Motto von 1995: „Colonia ruft die Narren aller Länder“. Der Begriff wird langsam aber sicher von dem dialektalen Jeck ersetzt, der erstmalig im kölschen Motto von 1987 „Janz Kölle dräump – un jede Jeck dräump anders“ auftaucht. Anders als bei Fastelovend findet sich Jeck ausschließlich in den Kölschen Mottos wieder. Standardsprachliche Mottos scheinen weiterhin ausschließlich das Wort Narr zu verwenden – allerdings gab es im neuen Jahrtausend kein standardsprachliches Motto mehr mit diesem Begriff, um das mit Sicherheit zu sagen. Weitere Mottos aus den kommenden Jahren müssen hierfür dann herangezogen werden.

Ein letzter, aber keinesfalls zu unterschätzender Wandel, findet sich schließlich in der Semantik der Mottos, ihrer Bedeutung und dem, was sie auszudrücken beabsichtigen. In den Anfängen der Karnevalsmottos im 19. und frühen 20. Jahrhundert fokussierten sich Mottos und Sprache auf die zentralen Figuren im Karneval – namentlich den Prinzen Karneval (früher Held Carneval), die Colonia, Hanswurst, Prinzessin Venetia, und einige weitere (fiktive wie reale) Adlige sowie berühmte (zumeist männliche) Persönlichkeiten wie Schiller und Goethe. Begriffe wie huldigen (1889, 1890, 1912), Prunkmahl (1906) oder Sieg (1825) zeichnen ein verherrlichendes, preisendes Bild der verschiedenen Karnevalsfiguren, heben sie auf ein sprachliches Podest und legitimieren ihre Stellung im Kölner Karneval.

Nach dem zweiten Weltkrieg setzt auch hier eine Veränderung ein. Der Fokus wird auf Köln (oder Kölle) gelegt, das natürlich schon seit Beginn der Mottos regelmäßig erwähnt wurde, aber jetzt noch einmal einen rasanten Anstieg erlebt. Zudem finden sich plötzlich nicht mehr namentliche Erwähnungen der einzelnen Karnevalsfiguren in den Mottos, sondern die Karnevalsbesucher selbst: Wir bzw. auf Kölsch mer bzw. uns/unser, das bis zum zweiten Weltkrieg in keinem einzigen Motto auftauchte, ist nun ein zentraler Begriff. Immer wieder wird das „Wir“ betont. Die Botschaft ist klar: Die Kölner:innen und alle, die zum Umzug kommen und feiern, sind eine Gemeinschaft, vereint in gleicher Sache.

Denn nur zesamme sin mer Fastelovend (2021).

Bild
Auf einem niedrigen Podest mit Rollen im Haus der Geschichte sitzt eine Lappenclownpuppe auf einer Bank, die Hände vors Gesicht geschlagen. An sein rechtes Bein ist eine Fußfessel in Form des Corona-Virus gekettet, links neben ihm liegt eine Narrenkappe. Auf dem Podest steht "nur zusammen kommen wir hier heraus" im Kölner Dialekt.
Bildunterschrift
Ein Lappenclown in Corona-Zeiten. Installation zur Ausstellung "Heimat. Eine Suche" im Haus der Geschichte, Bonn. | ©Sarah Puckert, LVR-ILR)