Hochdeutsch und Dialekt im 16.–18. Jahrhundert
Von Prestige, Buchdruck und Verständlichkeit
Nach der Ablösung des Lateinischen als Schriftsprache durch die ripuarische und die niederrheinische Schreibsprache im 13. Jahrhundert sowie deren Ausbreitung und Stabilisierung im 14. und 15. Jahrhundert, lässt sich im 16. Jahrhundert der nächste tiefgreifende sprachliche Veränderungsprozess im Rheinland beobachten: Die regionalen Schreibsprachen werden durch das hochdeutsche bzw. das niederländische Schriftsystem abgelöst. Im größten Teil des Rheinlandes erfolgt der Anschluss an das Hochdeutsche; Geldern, die linksrheinischen Gebiete des Herzogtums Kleve und der Raum Emmerich/Rees werden deutlich niederländisch beeinflusst. Die Übernahme des Niederländischen (anstelle des Hochdeutschen) in diesen niederrheinischen Regionen wurde durch mehrere Faktoren begünstigt: die enge Verwandtschaft der niederfränkischen Dialekte mit dem Niederländischen, die kulturelle und wirtschaftliche Ausrichtung auf die Niederlande, konfessionelle Gemeinsamkeiten und bis ins 18. Jahrhundert gebietsweise auch die politisch-territoriale Zugehörigkeit zu den Niederlanden (Obergeldern, Grafschaft Moers). Grundsätzlich kann für den niederrheinischen Raum als Ganzes für die Zeit vom 16. bis zum 19. Jahrhundert von einer sehr komplexen Zwei- oder Mehrsprachigkeitssituation ausgegangen werden (mehr dazu in Cornelissen 2000, Cornelissen 2003 und Eickmans 2003).
Generell wurde der Ablöseprozess im Rheinland – also der Übergang von einer regionalen zu einer überregionalen Schreibsprache – durch mehrere Faktoren begünstigt. Bereits im 15. Jahrhundert konnte anhand von Schriftstücken, die für Empfänger außerhalb des Rheinlandes bestimmt waren, eine Orientierung an deren Sprachgebrauch festgestellt werden: So verwendeten beispielsweise Kölner Schreiber hochdeutsche Schreibvarianten, wenn sie an einen Adressaten in Straßburg, Nürnberg oder Augsburg schrieben. So heißt es in einem Brief aus dem Jahr 1424 an den Rat von Straßburg: So haben wir lieben frunde uch zo ere […] – haben statt ripuarisch hain oder (seltener) haven, lieben statt leven oder lieven; im weiteren Verlauf des Textes stehen noch daz und waz statt dat und wat, und statt ind sowie icht statt yet. Für diese Anpassungen gab es zwei Gründe: Zum einen war den Kölner Schreibern die regional begrenzte Gültigkeit ihrer Schreibsprache bewusst, sie mussten davon ausgehen, dass bayrische Empfänger sie nicht vollständig verstehen würden. Zum anderen hatten die Schreibsprachen des süddeutschen Raumes ein höheres Ansehen als die rheinischen, dieser Prestigeunterschied führte ebenfalls zur Orientierung an der "besseren" Varietät.