Keltisch im Rheinland

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Keltische Sprachen werden heute noch auf den britischen Inseln und in der französischen Bretagne gesprochen. Sie bilden einen Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie, zu der auch die germanischen (wie Deutsch, Niederländisch und Englisch), romanischen (u.a. Französisch, Spanisch und Rumänisch) und viele weitere Sprachen in Europa, dem Nahen Osten und Asien gehören. Das bedeutet, dass sich all diese Sprachen aus derselben Ursprache, dem Proto-Indoeuropäischen, entwickelt haben. Durch Migration haben sich Gruppen von Sprecher:innen voneinander entfernt und ihre Sprachen haben unterschiedliche Sprachwandelprozesse durchgemacht. So kam es erst zu neuen Zweigen und schließlich zu den Einzelsprachen.

Die keltischen Sprachen sind erstmals in Mitteleuropa aufgetaucht und werden mit der späteren Hallstatt-Kultur (ca. 1200-500 v. Chr.) assoziiert. In den folgenden Jahrhunderten weitete sich das keltische Sprachgebiet aus und erfasste im 2. vorchristlichen Jahrhundert weite Teile Europas zwischen der Iberischen Halbinsel und der heutigen Türkei, darunter auch Süd- und Mitteldeutschland. Unter Julius Cäsar wurden „die Kelten“, die er „Gallier“ nannte, bekanntlich unterworfen sowie kulturell und sprachlich assimiliert, also romanisiert. Die Verwaltungssprache war ab sofort Latein und die Sprache des Alltags Vulgärlatein. Aus dem Vulgärlateinischen entwickelten sich nach dem Zusammenbruch des Römischen Imperiums die einzelnen romanischen Sprachen. Die Sprachen, die im früheren Siedlungsgebiet der Gallier gesprochen werden, heißen auch galloromanische Sprachen. Dieser Name kann jedoch missverstanden werden: es ist keine Mischung aus Gallisch und Romanisch und der gallische Einfluss ist marginal.

Die sogenannten Kelten werden aufgrund ihrer sprachlichen Zugehörigkeit zu einer Gruppe zusammengefasst. Sie sahen sich hingegen nicht als kulturelle oder ethnische Einheit an. Auch „Gallier“ ist eine Fremdbezeichnung für verschiedene keltischsprachige Stämme. Dasselbe gilt für „die Germanen“, also Sprecher:innen germanischer Sprachen, die ihre Identität selbst sicher nicht (nur) auf ihrer Sprache aufbauten.

Keltische und germanische Stämme lebten in West- und Mitteleuropa teilweise in direkter Nachbarschaft. Kriegerische Auseinandersetzungen gab es ebenso wie friedliche Handelsbeziehungen. Dieser enge Kontakt führte auch dazu, dass sich die Sprachen der Gruppen gegenseitig beeinflussten. Es ist kein Zufall, dass das altirische Wort für ‚Recht‘ ebenfalls recht lautet. Sowohl urkeltisch *rextus als auch urgermanisch *rehtuz haben sich aus der indoeuropäischen Wurzel *h3reĝ- ‚geraderichten, ausstrecken‘ entwickelt, aber gemeinsam den Bedeutungswandel zu ‚richten‘ vollzogen. Dies ist nur eins von vielen Zeugnissen zum intensiven Kontakt der Gruppen, doch ist es wie die meisten anderen nicht spezifisch für das Rheinland, sondern gilt generell für die deutsche Sprache.

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Trägerin eines keltischen Namens: Die Inde. | © Verena Krautwald, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte
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Trägerin eines keltischen Namens: Die Inde. | © Verena Krautwald, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte

Eine kulturelle Praktik, die besonders typisch für das Rheinland war und sprachliche Besonderheiten mit sich gebracht hat, ist die Verehrung sogenannter Matronen. In diesem Kult, der bis ins 4. Jh. n. Chr. praktiziert wurde, vereinen sich germanische, keltische und römische Elemente – und Sprachen. Wie diese lokalen, im Trio auftretenden Muttergottheiten genau angebetet wurden, lässt sich nicht mehr feststellen. Inschriften überliefern aber einige Namen – und zwar nicht nur der Göttinnen selber, sondern auch der Stiftenden, die die Weihestätten in Auftrag gaben. Die ca. 100 Matronennamen, von denen der Großteil aus dem Gebiet zwischen Aachen, Bonn und Neuss stammt, lassen sich an Ortsnamen, Stammesnamen und Baum- oder Flussnamen anknüpfen. So lässt sich der Name LANEHIAE zum Ortsnamen Lechenich stellen, HAMAVEHAE zum Stammesnamen Chamaver und NERSIHENAE zum Flussnamen Niers. Gestiftet wurden die Inschriften nicht selten von Personen mit gallischen Namen, wenn auch in latinisierter Form. Das spricht dafür, dass die Bevölkerung nach der Romanisierung einige Namenstraditionen aufrechterhalten, aber an die neue Sprache angepasst hat.

Der Kult um die Muttergottheiten wird jedoch nicht mehr ausgelebt und ihre Namen sind vergessen. Was aber bleibt, sind Orts- und Gewässernamen. Diese werden nicht nur im Rheinland allzu gerne auf keltische Sprachen zurückgeführt. Tatsächlich sind aber nur wenige sicher keltischen Ursprungs. Bei vielen bleibt ein Restzweifel, da die Herkunft eines Namens nicht eindeutig zu erkennen ist oder eine Wurzel sowohl germanisch als auch keltisch sein könnte. Denn wie oben geschrieben sind germanische und keltische Sprachen durchaus miteinander verwandt und weisen einige Ähnlichkeiten auf. Diese Ähnlichkeiten können auf drei Gründe zurückgeführt werden:

  1. Gemeinsame Entwicklung
  2. Entlehnung in die eine oder andere Richtung und
  3. Zufall.

Im Vergleich zu vielen anderen Sprachen der indoeuropäischen Sprachfamilie sind die festlandkeltischen Sprachen kaum überliefert und lassen nur wenig Rückschlüsse zu. Bei Gewässernamen kommt noch eine weitere Schwierigkeit hinzu: sie stammen mitunter aus einer Zeit vor der Ankunft indoeuropäischer Sprecher:innen. Über diese vor-indoeuropäischen Sprachen ist so gut wie nichts bekannt, eine Rekonstruktion ursprünglicher Bedeutungen ist daher nichts als Spekulation.

Mit relativer Sicherheit sind die folgenden Namen keltischen Ursprungs oder keltisch beeinflusst:

Rhein

Der deutsche Name des Flusses, der dem Rheinland seinen Namen gab, geht auf urgerm. *Reinaz zurück. Die keltische Entsprechung lautet Rēnus. Beides hat sich parallel aus der indoeuropäischen Verbalwurzel *hr3reiH- ‚wallen, wirbeln; fließen‘ entwickelt. Der Rhein ist demnach der ‚wallende Fluss‘. Dass der Name in beiden Sprachzweigen fast identisch lautet und beide Varianten zum modernen Rhein führen, macht es unmöglich, den Namen als definitiv germanisch oder definitiv keltisch zu identifizieren.

Inde

Die Inde ist ein Nebenfluss der Rur und wurde erstmals als Inda für ca. 500 n. Chr. belegt. Zu diesem Zeitpunkt wurden bereits keine festlandkeltischen Sprachen mehr gesprochen, aber dieser keltische Name hat sich gehalten. Er geht zurück auf urkeltisch *ind-o- ‚aufleuchten‘ aus urindogermanisch *h2i-n-dh- ‚entzünden‘. Die Bedeutung ist also ‚die Leuchtende‘. Inden, ein Ort im Kreis Düren, wurde nach der Inde benannt. Der Wortbestandteil indo- in indoeuropäisch geht übrigens auf eine andere Wurzel zurück.

Ahr

Durch den Süden des Rheinlands fließt die Ahr, ein Nebenfluss des Rheins. Ihre erste Erwähnung aus dem Jahr 855 lautet Are. Diesem Namen liegt die rekonstruierte Form *Orā zugrunde, die auf idg. *h3er- ‚sich in (Fort-)Bewegung setzen‘ (vgl. gr. óros ‚Antrieb, lat. orior ‚erhebe mich, entstehe‘) zurückgeht. Im modernen Kymrischen (der Sprache in Wales) ist eine Spur hiervon im Wort für ‚Erhebung‘ zu entdecken: dygyff-or. Im Urgermanischen wurden kurze /o/s zu /a/, was dazu führte, dass germanische Sprecher:innen den Anlaut von *Orā in ein /a/ umwandelten. Ob der ursprüngliche Name tatsächlich keltisch ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, es ist aber durchaus möglich.

Dormagen, Remagen, Nijmegen

Der Ortsname Dormagen wurde um etwa 300 zum ersten Mal als Dornomago und Durnomago (im Ablativ) erwähnt, und zwar in lateinischer Sprache. Er geht zurück auf Durnomagus. Das Hinterglied -magos bedeutet in keltischen Sprachen ‚Feld, Ebene‘. Das Vorderglied dorn erscheint in keltischen Ortsnamen häufiger und bedeutet ‚Faust‘ oder ‚faustgroßer Kieselstein‘. Mit dem bezeichneten ‚Kiesfeld‘ wird auf die Kiesvorkommen der Region um Dormagen angespielt. Auch das Rheinland-Pfälzische Remagen (Ersterwähnung im 3. Jh. in einer Kopie als Rigomagus) trägt ebenfalls das keltische -magos ‚Feld‘ in sich. Der erste Bestandteil des Namens ist aber royaler als ein großer Kiesel: er ist auf kelt. *rīg- ‚König‘ zurückzuführen; Remagen bedeutet demnach ‚Königsfeld‘. Auch das niederländische Nijmegen (auf Deutsch Nimwegen) gehört in diese Kategorie. Zuerst erwähnt im 4. Jh. als Nouiomagi lässt sich der Name in die Bestandteile -magos und -novios ‚neu‘ aufteilen. Der Name entspricht damit genau dem Ortsnamen Neumagen an der Mosel, der ebenfalls ‚Neufeld‘ bedeutet.

Zu Ortsnamen auf -ich können Sie in unserem Portal einen ausführlichen Artikel lesen. An dieser Stelle sei eine kurze Zusammenfassung gestattet: Einige Ortsnamen, die mit -ich enden, tragen tatsächlich eine Zugehörigkeitsendung in sich, die aus dem Keltischen übernommen wurde. Allerdings führen viele Wege zur -ich-Endung und sie kann auch das Resultat von lautlichen Verschleifungen oder Analogien zu anderen Namen sein. Außerdem ist ein (vermeintlich) keltischer Ortsname kein Beweis für eine keltische Gründung. Weder Germanen noch Kelten haben viele schriftliche Zeugnisse hinterlassen, in Rom war man dafür umso schreibwütiger. Es war unter römischen Schreibern üblich, fremden Personen und Orten lateinische Namen zuzuweisen, um sie in schriftlichen Quellen festhalten zu können. Diese Namen wurden teilweise übernommen und von Nicht-Römer:innen genutzt. So ist es mit den -magos-Namen geschehen. In Rom kannte man viele keltische Namen und konnte sie mit entsprechender Ausbildung auch selber formen. Die Unterscheidung fremder Völker fiel allerdings auch ihnen schwer, darum verwundert es nicht, dass keltische Namen ins eigentlich germanische Siedlungsgebiet gesetzt wurden. Auch ein ehemaliger -acum-Name, der in einem Ortsnamen auf -ich resultierte, bestätigt keinesfalls eine zweifelsfrei keltische Siedlung. Viel wahrscheinlicher ist es, dass gallorömische Legionäre sich nicht selten am Rhein niederließen, wenn ihre Dienstzeit zu Ende gegangen war. Und gallorömische Personen waren, wie wir bereits festgestellt haben, bereits romanisiert und können nicht mehr als Kelt:innen identifiziert werden. Auch die Archäologie macht den Keltenenthusiast:innen, die ihren rheinischen Heimatort gerne an die keltische Kultur anknüpfen möchten, einen gehörigen Strich durch die Rechnung: Aufgrund des Ausbleibens von keltischen Funden ist eine keltische Besiedlung nördlich der Eifel ausgeschlossen.

Wie man sieht, ist der keltische Einfluss auf die Sprachen im Rheinland sehr begrenzt. Selbst viele angeblich keltische Orts- und Gewässernamen sind keine solchen. Populärwissenschaftliche Nachschlagewerke wie Geographische Namen in Deutschland vom Duden-Verlag und die Wikipedia geben keltische Ursprünge für Namen an, die teilweise zweifelhaft sind; im Falle der Wikipedia fehlen häufig Quellenangaben. Auch aus persönlichen Korrespondenzen wissen wir im Sprachteam, dass das Interesse daran, gewisse Namen auf eine keltische Sprache zurückzuführen, groß ist. Es drängt sich die Frage auf, woran das liegt.

Die Faszination für keltische Sprachen und Kulturen ist keineswegs neu. Im Mittelalter waren literarische Stoffe, die ihren Weg von den britischen Inseln auf den europäischen Kontinent gefunden hatten, sehr beliebt. Viele ihrer Elemente leben heute in der Fantasy-Literatur weiter. Gelehrte des Mittelalters und der Neuzeit stellten verschiedenste Überlegungen dazu an, wie die keltischen Sprachen und Völker mit der Bibel und anderen Kulturen in Verbindung zu bringen seien (was, nebenbei gesagt, auch mit allen anderen Gruppen getan wurde und zwar auf eine Art und Weise, die heutigen wissenschaftlichen Standards natürlich nicht entspricht). Gerade die Andersartigkeit der keltischen Sprachen in Schriftbild und Klang und das fehlende Wissen über ihre frühere Kultur aufgrund mangelhafter Quellen laden zu Projektionen eigener Vorstellungen und Wünsche ein. Einer dieser Wünsche kann sein, einen Ort, zum Beispiel den eigenen Heimatort, an eine möglichst lange, möglichst interessante Geschichte anzuknüpfen. Die künstliche und ideologisch bedingte Aufwertung des Germanischen im Dritten Reich hat dazu geführt, dass die Rezeption dieser Gruppen nach dem Zweiten Weltkrieg negativ behaftet wurde. Um sich in den deutschsprachigen Ländern noch an eine antike bis frühmittelalterliche Kultur „andocken“ zu können, die nicht die germanische ist, muss man sich nach Alternativen umschauen. Die Kelten stellen eine vermeintlich sichere, da ideologisch nicht vergiftete, Option dar.

Festzuhalten ist: das Rheinland war nicht Siedlungsgebiet der Kelten. Individuen, die der ehemals keltischen Bevölkerung angehörten, kamen erst nach ihrer Romanisierung dorthin, vergaben hier und da Ortsnamen mit keltischen Elementen und übten kulturelle römische Praktiken aus, die von keltischen Bräuchen beeinflusst waren. Sprachliche Spuren haben sie in diesem Geflecht aus verschiedenen Kulturen im ersten Jahrtausend nach Christus nur wenige hinterlassen. Doch sind diese Wahrheit und die Suche nach ihr nicht ebenso spannend wie die Vorstellung einer kontinuierlichen keltischen Geschichte?