Spanische Grippe auf Kölsch

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Seit zwei Jahren ist Corona ein Teil unseres Alltags und täglich Thema in den Nachrichten. Kein Tag vergeht, an dem in den Zeitungen nicht von Infektionszahlen, Impfstoffen oder Kontaktbeschränkungen die Rede ist. Vor einhundert Jahren hatten die Menschen mit einer ähnlichen Situation zu kämpfen, die sich auch in den Medien wiederspiegelte: Im Kölner Localanzeiger vom 3. Juli 1918 berichtete eine Kolumne auf Kölsch und in recht lapidarem Ton über "de Gripp" – hier ist natürlich nicht Corona, sondern die Spanische Grippe gemeint, die Köln damals im Griff hatte wie heute Corona. Der Autor erinnert sich zunächst an die Grippewelle im Winter 1889/90, die im Volksmund Flegende Grip oder Fulenzia genannt wurde.

Flegende Grip bezieht sich wohl auf die rasende Geschwindigkeit, mit der sich die Krankheit ausbreitete: Sie hat rasch "Minsch för Minsch ergreffen", nahezu "alles woodt dervun gepackt", Geschäfte hatten Mühe, ihren Betrieb aufrecht zu erhalten, weil ihre Angestellten an der Grippe erkrankten und ausfielen und sogar Zeitungen sind nur "mat Ach un Krach üvver de Walze gelaufe". Man konnte also zu recht von einer "fliegenden" Grippe sprechen.

Fulenzia ist nichts anderes als eine Verballhornung von Influenza. Das Wort kommt aus dem Italienischen, nämlich vom gleichbedeutenden influenza, welches vom mittellateinischen influentia 'Einfluss' abstammt. Erstmals verwendet wurde das Wort in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts, als eine ebenfalls in Italien ausgebrochene Grippeepidemie sich in Deutschland ausbreitete und das Wort mit sich brachte.

Der damalige Stand der Wissenschaft konnte Ausbruch und Verbreitung von Infektionskrankheiten nicht erklären. Dass sich unsichtbare Viren durch Berührung oder die Luft übertragen werden, war noch nicht entdeckt worden, daher bediente man sich der Pseudowissenschaft Astrologie und schrieb die Schuld den Sternen zu: Der Einfluss (influentia) ungünstiger Planetenkonstellationen brächte Krankheit und Unglück über die Menschen, so glaubte man. Der Name für die Krankheit entstand also aus der Bezeichnung für ihre vermeintliche Ursache.

Unser Kolumnist bezeichnet Influenza als einen "Modename[n] […], dä natörlich en der kölsche Mungkaat en Fulenzia ömgedäuf woodt". Das lange, nicht-deutsche Wort konnten sich die damaligen Kölner:innen wohl nicht gut merken oder gut aussprechen, weshalb es zu der Wortbildung Fulenzia kam.

Der Zeitungsbeitrag endet mit der Hoffnung auf ein baldiges Ende der Grippewelle, im Gegensatz zu den langen Wochen dreißig Jahre zuvor: "Domols hätt de Gripp sich wochenlang gehalde – et wor jo och en der kahl Winterzick – , hoffentlich geiht se dismol schneller vorüvver, wenn wärm Summerwedder sich einstellt." Diese Hoffnung sollte sich allerdings nicht erfüllen: Erst im Laufe des Jahres 1920 klang die Spanische Grippe wieder ab.

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Ein Stapel Zeitungen
Bildunterschrift
Corona in der Tageszeitung - ein alltäglicher Anblick | Pixabay