Samstag oder Sonnabend?

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Zu Weihnachten haben meine Kinder einen Wandkalender geschenkt bekommen. Jede Woche gibt es ein Gedicht zu lesen, dazu eine bunte Illustration. Das Besondere daran: Die Gedichte entstammen ganz unterschiedlichen Sprachen und sind jeweils im Original und in einer deutschen Übersetzung abgedruckt. Doch nicht nur für sprachübergreifende Vergleiche ist der Kalender spannend. Meine auf regionalsprachliche Unterschiede geprägten Augen haben da noch etwas entdeckt. Der vorletzte Tag auf jedem Kalenderblatt ist mit Sonnabend überschrieben. Damit geht der Kalender gegen den Trend, denn seit einigen Jahrzehnten kann eine deutliche Ausbreitung von Samstag gegenüber Sonnabend beobachtet werden, wie auch der Vergleich einiger Sprachkarten zeigt (s. auch Elspaß/Möller 2024):

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Ausschnitt aus einem Kalender mit der Aufschrift Sonnabend
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Der Kinder Kalender 2025 | © Moritz Verlag, Frankfurt am Main

Im dtv-Atlas „Deutsche Sprache“ findet man eine Karte, die für die Zeit um 1940 die Bezeichnungen für den Tag vor dem Sonntag in den Dialekten des (ehemaligen) deutschen Sprachgebiets zeigt. Darauf zeigt sich ein deutlicher Nord-Süd-Unterschied: In den Mundarten nördlich des Mains wird Samstag verwendet, südlich davon Sonnabend. Nur im Rheinland verläuft die Grenze weiter im Norden, etwa auf Höhe der Benrather Linie. Die Verbreitungsgebiete der beiden Varianten sind etwa gleich groß. Im Westen des Sonnabend-Gebiets findet sich eine weitere Variante, Saterdag (zur Herkunft der verschiedenen Varianten gibt’s hier mehr Informationen). Im Rheinland treffen damit die drei Varianten aufeinander.

Wie genau die Verteilung in den Dialekten in diesem Raum aussieht, zeigt eine Karte aus dem Rheinischen Wörterbuch (RhWb) für das Jahr 1934 (Band VII, 15, S. 749). Im südlichen und zentralen Rheinland ist Samstag (ausgesprochen je nach Region Samsdach, Samstich, Sampsdach, Samesdach) die meist genannte Variante. Nördlich, am Niederrhein, findet sich die Variante Saterdag (ausgesprochen Soaterdach, Saterdach, Satersdach), die auch in einem Streifen entlang der westlichen Staatsgrenze bis ins Heinsberger Land und den Selfkant verbreitet ist. Im Osten des Rheinlands wird die Variante bis in den Norden des Bergischen Landes verwendet. Zusätzliche Eintragungen auf der Karte zeigen, dass im Jahr 1914 Saterdag auch weiter südlich noch genannt wurde und innerhalb von 20 Jahren ein Rückgang der Form zu sehen ist. Im Westen des Erhebungsgebiets, im Ostbergischen, im Siegerland und im Westerwald ist Sonnabend (ausgesprochen meist Sonnowend) die dominierende Variante.

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Sprachkarte zur Verteilung der Samstag-Bezeichnungen
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Samstag/Sonnabend in den deutschen Dialekten | © dtv-Atlas „Deutsche Sprache“, S. 186

Eine weitere Samstag-Karte findet sich im Rheinischen Wortatlas (RWA), der den Stand der rheinischen Dialekte am Ende des 20. Jahrhunderts dokumentiert. Der Vergleich mit der RhWb-Karte zeigt, dass die Saterdag-Belege zugunsten der Variante Samstag weniger werden und das Verbreitungsgebiet kleiner wird. Auch im ursprünglichen Sonnabend-Gebiet breitet Samstag sich aus. Belege für Sonnabend finden sich fast nur noch im Siegerland. Und, das ist neu, auch im Kölner Raum wird Sonnabend einige Male genannt. Ein weiterer Unterschied zur RhWb-Karte (vgl. Elspaß/Möller 2024, S. 10, Fn. 18), der vermutlich der Entstehungszeit der Karte in den 1930er Jahren geschuldet ist, ist das Vorkommen der Variante Schabbes, die aus dem Jiddischen stammt (etymologisch auf Samstag zurückgehend). Auf der RWA-Karte findet sich die Form in Einzelbelegen entlang des Rheins.

Noch einmal zehn Jahre später, 2011, wurde in einer Fragebogenerhebung des LVR-ILR ebenfalls nach der Benennung des Tags vor dem Sonntag gefragt. Die auf den Antworten beruhende Karte ähnelt der aus dem RWA sehr, nur das Sonnabend-Gebiet rund um Köln gibt es hier nicht. Schabbes wird noch zweimal genannt (unter „Sonstiges“ zusammengefasst).

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Sprachkarte zur Verteilung der Samstag-Bezeichnungen
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Samstag/Saterdag/Sonnabend in den Dialekten des Rheinlands | © RhWb, Bd. 7, Sp. 750 S.

Blickt man nun auf Karten, die nicht den Dialekt, sondern die regionale Alltagssprache abbilden, ergibt sich ein anderes Bild. Eine sehr frühe Karte ist im „Wortatlas der deutschen Umgangssprache“ (WDU) (1977) zu finden. Im Rheinland finden sich auf der WDU-Karte mit einer Sonnabend-Ausnahme nur noch Samstag-Nennungen.

Im Jahr 2012 fragte das LVR-ILR in einer Fragebogenerhebung zum rheinischen Regiolekt nach der Bezeichnung des Wochentags. Die Karte zeigt eine flächendeckende Verbreitung von Samstag, daneben gibt es verstreut im gesamten Gebiet vereinzelte Sonnabend-Belege.

Als etwa zehn Jahre später die Frage im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA) erneut gestellt wird, zeigt die Karte für das Rheinland nur noch Samstag. Vergleicht man diese AdA-Deutschlandkarte mit der Dialektkarte aus dem dtv-Atlas, zeigt sich, dass die ehemals recht gleichverteilten Dialektvarianten Samstag und Sonnabend in der deutschen Alltagssprache völlig anders dastehen. Zwar ist Sonnabend auf dem Gebiet der ehemaligen DDR noch weit verbreitet, allerdings wird aus dem gleichen Gebiet auch häufig Samstag gemeldet. Im Norden Deutschlands wird Sonnabend von Samstag, von Nordwesten kommend, zunehmend verdrängt. Dieses Bild wird noch einmal deutlicher auf zwei AdA-Karten, die nach dem Alter der Befragten differenzieren. Auf der Karte, die die Antworten der Informant:innen bis 29 Jahre darstellen, sind noch einmal deutlich weniger Sonnabend-Belege zu sehen als auf der Karte der Antwortenden über 30 Jahre. Solch ein apparent time-Vergleich (Vergleich von Angaben von Menschen unterschiedlichen Alters zum gleichen Zeitpunkt) kann oft die Richtung zukünftigen Sprachwandels aufzeigen.

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Sprachkarte zur Verteilung der Samstag-Bezeichnungen
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Samstag/Saterdag/Sonnabend im Regiolekt| © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

Dass Samstag zur weiterverbreiteten Variante geworden ist, lässt sich auch daran erkennen, dass man in der (in Hamburg produzierten) Tagesschau Anfang der 2000er Jahre dazu überging, Samstag statt Sonnabend zu verwenden (Elspaß 2005, S. 13, Fn. 25) und dass Sonnabend im DUDEN als regional gekennzeichnet ist.

Interessanterweise stammt der oben genannte „Kinder Kalender 2025“ aus dem Moritz Verlag mit Sitz im Frankfurt am Main. Wie man auf der dtv-Atlas-Karte sehen kann, liegt die Stadt südlich der Samstag-Sonnabend-Grenze und damit im Samstag-Gebiet. Dies ist also keine Erklärung für die Verwendung der unüblicheren Variante…