Röggeping ist nicht peinlich
Dem medizinischen Problem der Rückenschmerzen, Röggeping im Dialekt, können wir an dieser Stelle nicht auf den Grund gehen, wohl aber der Wortgeschichte von Ping.
Was sich für das standarddeutsche Ohr vielleicht ungewohnt anhört, nämlich wie Lautmalerei oder Tischtennis, ist die logische Konsequenz des Sprachwandels im Ripuarischen. Aber beginnen wir am Anfang: Im Altgriechischen bedeutet poinḗ ‚Buße, Strafe‘. Das Wort fand in Form von poena Einzug in die lateinische Sprache und entwickelte sich dort im Laufe der Zeit weiter zu spätl. pēna. Von dort aus wurde es durch die Christianisierung in die germanischen Sprachen entlehnt: mhd. pīn, pīn(e), ahd. pīn, as. pīna, alle ‚Pein, Schmerz‘, ae. pīnian ‚peinigen‘. Auch im modernen Niederländischen, Englischen und den skandinavischen Sprachen sagt man noch pijn, pain, pina bzw. pine um über (starke) Schmerzen zu sprechen. Nhd. Pein ist kein alltägliches Wort und wird wohl eher selten verwendet, wenn von körperlichen oder seelischen Schmerzen eines normalen Ausmaßes die Rede ist. Gebraucht wird es vor allem in poetischen und religiösen Kontexten. In den rheinischen Dialekten ist das anders: Ping oder Pīn (wie es in Dialekten ohne Velarisierung heißt) bedeutet einfach ‚(körperlicher) Schmerz‘.
Von der heutigen Bedeutung ausgehend ist es nicht unbedingt offensichtlich, dass dem Wort peinlich ‚unangenehm‘ Pein zugrunde liegt. Seit dem 12. Jahrhundert ist mhd. pīnlich ‚Pein verursachend, schmerzlich‘ belegt. Im Kontext mit mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Strafprozessen kennt man auch die Wendung peinliche Befragung, mit der natürlich keine Befragung gemeint ist, in der sich jemand sozial unbeholfen verhält und damit blamiert, sondern eine, in der durch das Zufügen von Schmerzen ein Geständnis erzwungen werden soll. Die Phrase ist in der alten Form und Bedeutung „eingefroren“, auch wenn die Bedeutung von peinlich mittlerweile abgeschwächt ist.
Gehen wir zeitlich einen Schritt zurück und örtlich ins zentrale Rheinland, wo die ripuarischen Dialekte ihr Zuhause haben. Hier entwickelt sich mhd. pīn sowohl lautlich als auch semantisch (die Bedeutung betreffend) ein wenig anders als das standarddeutsche Pein. Die ripuarischen Dialekte durchlaufen nicht die frühneuhochdeutsche Diphthongierung, mit anderen Worten erhalten sie das lange i des mittelhochdeutschen Lautstands. Der Auslaut n wird velarisiert, das heißt, dass seine Aussprache vom Zahndamm vorne im Mund weiter nach hinten bis zum weichen Gaumen, dem Velum, wandert. So tritt an seine Stelle ein /ng/-Laut, wie in Ringfinger. Nimmt man Ping als Ausgangspunkt, ist das Adjektiv pingelig nicht weit. Das Bedeutungsspektrum von pingelig geht von ‚zimperlich‘ bis ‚wählerisch beim Essen‘, am Niederrhein und in Westfalen heißt es auch ‚knauserig, kleinlich‘. Vielleicht geht die zweite Variante auf das niederdeutsche Pingel ‚Knauser‘, vgl. nl. pingelen ‚feilschen‘ zurück, wohl zu niederdeutsch Pingel ‚kleiner Gegenstand‘. Auf jeden Fall ist pingelig negativ konnotiert.
Das Wort hat es auch in die überregionale Standardsprache geschafft – im Gegensatz zum dazugehörigen Verb pingele ‚Schmerz weinerlich äußern, über geringe Schmerzen klagen; zimperlich, hochgradig empfindlich sein‘.
Dieses Verhalten kann man peinlich finden, oder um es anders zu sagen: es ist verpönt. Auch verpönt gehört zur Wortfamilie rund um Pein: es ist das seit dem 15. Jahrhundert belegte Partizip zu verpēnen ‚bestrafen‘, das ebenfalls auf lat. poena zurückgeht. Im 18. Jahrhundert hat sie die Bedeutung dann zu ‚strafbar‘ und schließlich ‚öffentlich geächtet‘ abgeschwächt.
Ganz schön penibel, diese Sprachhistoriker:innen. Sie ahnen es schon: Auch hier steckt die Pein drin, und wieder spielt sich die Sprachgeschichte im 18. Jahrhundert ab. Aus dem Französischen, der damaligen lingua franca, wurde pénible (zu altfranzösisch peine ‚Strafe, Schmerz‘, aus lat. poena) als penibel in der Bedeutung ‚mühsam arbeiten‘ entlehnt. Im Laufe der Zeit hat sich die Bedeutung erst zu ‚sorgfältig arbeiten‘ und dann ‚übertrieben genau‘ gewandelt. Wer übertrieben genau ist, ist ja irgendwie auch pingelig. Solche Leute piddeln bestimmt auch penibel die Bestandteile ihres Essens raus, die sie nicht mögen, weil sie so pingelig, also wählerisch beim Essen sind. Falls sie sich dabei zu krumm über den Teller beugen, kriegen sie auch Röggeping. Und wie sagt man so schön im Rheinland? De Welt is voll Ping, jeder hät de sing – die Welt ist voll Schmerz, jeder hat den seinen. Der Rögge des Wortes Ping vielleicht wegen seiner langen, schweren Reise durch die Sprachgeschichte.