Ein "rheinisches Lehnwort" im Schwedischen?!

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Im vergangenen Jahr erschien im Greven Verlag Köln ein Buch mit dem Titel "Für eine bessere Welt. Außergewöhnliche Begegnungen im Rheinland". Journalist und Autor Wolfgang Kaes schildert darin Gespräche, die er, noch vor der Corona-Pandemie, also von Angesicht zu Angesicht, ohne Maske und Abstand, mit außergewöhnlichen Menschen aus dem Rheinland geführt hat. Als Rheinland-Forscherin bekam ich dieses Buch natürlich zum Geburtstag geschenkt und habe es interessiert gelesen.

Besonders aufmerksam wurde ich bei dem Bericht über die Begegnung mit dem Investigativjournalisten Günter Wallraff: "Die [Schwedische] Akademie ist aber zugleich Gralshüter der schwedischen Sprache und gibt ein mit unserem Duden vergleichbares Wörterbuch heraus. Wenn denn mal ein ausländisches Lehnwort in dieses Wörterbuch Eingang findet, muss es sich schon tief in den Sprachgebrauch der schwedischen Nation eingegraben haben. "Wallraffing" zum Beispiel. Damit beschreiben die Schweden eine spezielle journalistische Arbeitsmethode." (S. 21).

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Schwedische Zeitung
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Der Ausdruck "wallraffreportage" als Synonym für eine verdeckte Recherche in der schwedischen Zeitung "Nöjesguiden" (Ausgabe 6/7, 2011) | © Maximilian Schönherr, GNU, CC BY SA 3.0 nicht portiert, 2.5 generisch, 2.0 generisch und 1.0 generisch

Eine interessante Entdeckung! Aber ein richtiges Lehnwort ist Wallraffing eigentlich nicht. Denn als Lehnwörter werden solche Wörter bezeichnet, die in einer Sprache üblich sind und dann in eine andere übernommen werden, beispielsweise kindergarten im Englischen (von deutsch Kindergarten) oder Parfum im Deutschen (von französisch parfum). Weder im Duden, noch im Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache ist das Wort Wallraffing jedoch verzeichnet. Auch die nähere linguistische Betrachtung des Wortes macht stutzig: Die Endung -ing kommt an Substantiven im Deutschen zwar vor, allerdings wiederum nur an Wörtern, die aus dem Englischen entlehnt sind, wie Stalking, Doping, Pudding. In englischen Wörterbüchern ist Wallraffing allerdings auch nicht verzeichnet. Ein Blick in das "Svenska Akademiens Ordbok", das in der Publikation erwähnte Wörterbuch, gibt Aufschluss: Hier ist das Verb wallraffa verzeichnet, das etwa bedeutet "investigativen Journalismus unter falscher Identität betreiben". Der älteste angegebene Beleg stammt aus dem Jahr 1974, der jüngste von 2009, das Wort scheint im Schwedischen also bereits seit längerer Zeit in Gebrauch zu sein (ob nur in Fachkreisen oder auch im allgemeinen Sprachgebrauch wird aus dem Eintrag nicht ersichtlich). Von wallraffa abgeleitet wurde auch das Substantiv wallraffning. Hier liegt wohl der Ursprung vom oben erwähnten Wallraffing, die – bekanntere – englische Endung -ing hat die schwedische Endung -ning ersetzt. Sucht man bei Google nach beiden Begriffen, zeigt sich eine deutliche Diskrepanz, 1170 Treffer für Wallraffing, 558 Treffer für Wallraffning. Das Überfliegen der ersten Einträge für Wallraffing lässt folgende Vermutung zu: Beim Berichten in englischen und deutschen Texten über das schwedische Wort ist das ursprünglich vorhandene n "verloren gegangen".

Ob nun deutsches Lehnwort oder nicht: Auf jeden Fall hat der rheinische Journalist Günter Wallraff und seine ungewöhnliche Arbeitsmethode den Journalismus über Landesgrenzen hinweg geprägt!

 

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Ausschnitt einer Buchseite
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"Wallraffing" im Buch "Für eine bessere Welt" von Wolfgang Kaes | © Charlotte Rein, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte