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Gebäckbezeichnungen auf Platt sind spannend, weil sie eine lange Geschichte haben und in nahezu unveränderter Form von Generation zu Generation weitergegeben. So haben sie Merkmale längst vergangener Sprachstufen konserviert. Doch auch Gebäckbezeichnungen jüngeren Datums liefern Stoff für Untersuchungen.

Bei Interviews mit den Inhabern der Bäckerei Laumann in Keyenberg wurden wir auf ein Gebäckstück aufmerksam gemacht, das sich Kanadier nennt (im Bild rechts). Es handelt sich dabei um ein Blätterteiggebäck mit Ahornsirup, Pekannüssen und Zuckerguss. Ahornsirup wird ja oft mit Kanada assoziiert; die Flagge des Landes zeigt sogar das rote Ahornblatt.

Die Bezeichnung ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht interessant, denn sie entstand in Anlehnung an eine andere Gebäckbezeichnung, nämlich der des Amerikaners. Einen solchen Wortbildungsprozess nennt man in der Sprachwissenschaft Analogiebildung: Ein neues Wort wird nach dem Vorbild eines bestehenden Wortes gebildet. Das neue und das alte Wort weisen bestimmte Gemeinsamkeiten auf. Genauso müssen sich der neue Gegenstand, der bezeichnet werden soll, und der alte, bereits benannte Gegenstand einander ähnlich sein; in diesem Fall sind beides kleine, süße Gebäckstücke. Die Bezeichnung Amerikaner, welche das Analog, also das „Vorbild“ bildet, ist neben einer Gebäckbezeichnung auch eine Einwohnerbezeichnung; Kanadier, das neue Wort, das nach diesem Vorbild entstanden ist, benennt ebenfalls Bürger*innen eines Landes.

In einer Bäckerei in Neu-Vilich werden Bonner (Berliner mit Eierlikör) verkauft. Auch hier war derselbe Wortbildungsprozess am Werk wie bei den Kanadiern: Zwei Gebäckstücke, die sich sogar noch ähnlicher sind als Amerikaner und Kanadier, tragen Bezeichnungen, die ebenfalls Gemeinsamkeiten aufweisen. Auf Grundlage des Analogs Berliner wurde das neue Wort Bonner gebildet. Wieder sind beides auch Einwohnerbezeichnungen.

Analogiebildungen treten in der Sprache in verschiedenen Formen auf, so auch in der Morphologie: Die schwache Vergangenheitsform backte (von backen) wurde zum Beispiel analog zur Form hackte (von hacken) gebildet und verdrängte die ältere, starke Vergangenheitsform buk.

Im Rahmen der Umfrage zur Bezeichnung von süßen Backwaren im Rheinland haben wir auch gefragt, welche Backwaren die Gewährspersonen noch kennen, die nicht auf dem Fragebogen aufgeführt sind. Eine Gewährsperson nannte Mexikaner. Natürlich drängt sich hier die Vermutung auf, dass es sich um eine Bezeichnung handelt, die analog zu Amerikaner gebildet wurde, doch was für ein Gebäckstück der Mexikaner sein soll, konnte nicht ermittelt werden – falls Sie einen Hinweis haben, freuen wir uns über eine Nachricht (gerne mit Bild) an sprachteam@lvr.de.

Bild
Das Foto zeigt ein Gebäckstück namens Kanadier in der Auslage einer Bäckerei
Bildunterschrift
Neu eingewandert ins Rheinland: der Kanadier | © Verena Kohlmann, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte