„Dat Portal“ op Jück: Lützerath und Keyenberg

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Vor einigen Tagen machte sich die Abteilung für Alltagskultur und Sprache des Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte op Jück: Gemeinsam ging es von Bonn aus in Richtung Nordwesten, ins Rheinische Braunkohlerevier, genauer gesagt zum Tagebau Garzweiler II. In dieser Region beschäftigen sich bereits seit einiger Zeit Kolleginnen mit der tagebaubedingten Umsiedlung: Sie begleiten die (ehemaligen) Bewohner:innen des Ortes Keyenberg in dieser besonderen Situation (mehr zum Projekt gibt es hier). Natürlich verfolgen wir im Kollegenkreis dieses spannende Projekt schon länger und waren nun gespannt auf die Möglichkeit, uns vor Ort ein Bild machen zu können. Neben dem alten und dem neuen Ort Keyenberg besuchten wir auf unserer Exkursion auch das Dorf Lützerath, das aktuell direkt an der Abbruchkante des Tagebaus liegt. Hier hat sich in den letzten zwei Jahren ein Protestcamp gebildet: Rund um einen noch bewohnten Hof wurden von Menschen, die sich gegen den Kohleabbau stellen, Baumhäuser und Hütten gebaut, verlassene Häuser besetzt. So hat sich mit der Zeit ein alternatives Dorf gebildet, das je nach Jahreszeit von 30-1500 Menschen bewohnt wird und in dem, neben dem Protest gegen den Klimawandel, auch das Ausprobieren neuer Formen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens im Vordergrund stehen. Durch die Beteiligung an diesem Prozess und Gestaltung des Dorfes durch ganz unterschiedliche Personen ist Lützerath sehr bunt; Graffitis, Aufkleber und Transparente fallen überall ins Auge. Die Aufschriften darauf sind aus sprachwissenschaftlicher Sicht natürlich ein „gefundenes Fressen“, deshalb gibt’s heute wieder eine Folge: „Dat Portal“ op Jück!

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Ortsschild von Lützerath
Bildunterschrift
Am Ortseingang wird der Protest bereits sichtbar. | © Anja Schmid-Engbrodt, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte

In dieser Folge wird es weniger regional und dialektal als in den Beiträgen zu Hamburg und Bayern, wir wollen den Blick auf ein Phänomen lenken, dass in der Alltagssprache, ganz gleich ob sie dialektal, regiolektal oder standardsprachlich geprägt ist, vorkommt: das Wortspiel. Wie Dieter W. Halwachs schreibt, ist von „Anfang an, vom frühkindlichen Spracherwerb bis in den Alltag des Erwachsenenlebens […] der spielerische Umgang mit Wörtern von nicht unwesentlicher Bedeutung“ (Halwachs 1994, S. 69). Aus diesem Grund begegnen uns Wortspiele im Alltag ganz häufig, in eigenen Gespräche, aber beispielsweise auch häufig in der Werbung. In der Linguistik werden diese Sprachspielereien quasi „von Anbeginn der Zeit“ untersucht, bereits in der antiken Rhetorik wurden ihre Techniken, Funktionen und Wirkungen betrachtet.

Auch auf den vielen öffentlichen schriftlichen Zeichen in Lützerath sind zahlreiche Wortspiele zu lesen, was hier zum Anlass genommen werden soll, sie sprachlich etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Zwei beliebte Mittel von Wortspielen, die auch in Lützerath am häufigsten anzutreffen waren, sind das Spiel mit der Homophonie, dem Gleichklang (teilweise auch der Gleichschreibung) zweier bedeutungsunterschiedlicher Worte und der Polysemie, der Mehrdeutigkeit eines Wortes. „Gerichte sind zum Essen da“ steht beispielsweise groß an einer Hauswand, die man beim Betreten des Ortes sieht. Hier wird mit der Doppeldeutigkeit des Wortes Gericht gespielt und Bezug auf die vielen Gerichtsprozesse genommen, die rund um den Kohleabbau im Rheinischen Revier in den letzten Jahren geführt worden sind.

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Plakat an einer Hauswand
Bildunterschrift
"Gerichte sind zum Essen da" | © Charlotte Rein, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte

Ebenfalls im Bereich des Ortseingangs findet sich die "Wildkräuterbarrikade", eine selbstgebaute Bar mit zwei Barhockern, umgrenzt von Bauzäunen. Das Wortspiel entsteht hier natürlich dadurch, dass das Wort Bar im Wort Barrikade enthalten ist, verdeutlicht wird dies durch die Farbgebung: Bar ist rot hervorgehoben.

Als nächstes stoßen wir auf ein Stofflaken, das in künstlerischer Detailarbeit nach Art eines Wimmelbildes gestaltet ist, wie man sie aus den beliebten Kinderbüchern kennt. Am unteren Bildrand, neben einem Baum, steht der Titel des Bildes: „Verwurzelt im Widerstand. Bilder aus dem Rheinischen Revier“. Hier wird sich die Mehrdeutigkeit des Wortes verwurzelt zunutze gemacht: Übertragen von den Wurzeln einer Pflanze, kann auch ein Mensch oder in diesem Falle eine Bewegung in einem Ort oder einer Region verwurzelt sein.

Direkt an der Abbruchkante, mit Blick auf „das Loch“ steht ein Transparent mit der Aufschrift „FingeRWEg von Lützerath“. Dieses Wortspiel funktioniert geschrieben besonders gut: Lässt man das Leerzeichen zwischen Finger und weg ausfallen, treffen die Buchstaben RWE aufeinander, der Name des Energiekonzerns, der für den Abbau der Braunkohle im Rheinischen Revier verantwortlich ist (ehemals Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG).

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Transparent an der Abbruchkante
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FingeRWEg von Lützerath! | © Charlotte Rein, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte

Einige Meter weiter, im Kern des Protestcamps findet sich ein Fahrradständer, mit Rädern, die die Bewohner:innen nutzen können, um den nächstgelegenen Bahnhof zu erreichen. Eines der Räder trägt die Aufschrift "Lützerad". Auch hier beruht das Wortspiel natürlich auf dem Gleichklang zweiter Wörter: einmal dem (Fahr)rad und dem Bestandteil -rath im Ortsnamen Lützerath (mehr zu dieser typisch rheinischen Ortsnamenendung gibt’s hier).

Das letzte Fundstück stammt nicht aus Lützerath, sondern aus dem nahegelegenen Ort Keyenberg, genauer aus der alteingesessenen Bäckerei Laumanns. „Uns geht’s jod!“ ist hier auf einem Aufkleber zu lesen. Dieser stammt von einer Kampagne zum Thema Jodmangel. Aus standardsprachlicher Sicht unterscheidet sich dieses Wortspiel etwas von den bisher vorgestellten: Statt mit homophonen Wörtern zu spielen, wird ein Wort gegen ein ähnlich klingendes ausgetauscht (g ~ j, u ~ o). Aus rheinischer Sicht ist es allerdings doch ein Fall von Homophonie: Die dialektale Form von gut lautet jod – und damit genauso wie das chemische Element!

Alle Wortspiel-Bilder und weitere Fundstücke aus Lützerath und Umgebung gibt’s auf der Homepage des LVR-Sprachteams.

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Aufkleber in einer Bäckerei
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Zuletzt auch noch ein dialektales Wortspiel! | © Charlotte Rein, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte