"noch nicht am krusen Bäumchen vorbei sein"

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Bei einer Online-Erhebung des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte (ILR) aus dem Herbst 2019 wurde nach der Bekanntheit und Verwendung einzelner Redewendungen in der regionalen Alltagssprache des Rheinlandes und des Ruhrgebiets gefragt. Auch noch nicht am krusen Bäumchen vorbei sein 'etwas noch nicht geschafft haben' war Teil dieses Fragebogens: Der is noch lange nich am Kruse Bäumchen vorbei (Wörterbuch der rheinischen Alltagssprache).

Zahlreiche Gewährspersonen beteiligten sich an der Erhebung und machten Angaben zur regionalen Verbreitung der Redewendung. Mit Blick auf die Ergebnisse zeigt sich, dass noch nicht am krusen Bäumchen vorbei sein kaum bekannt ist. Teilnehmende aus allen Regionen gaben an, die Wendung nicht zu kennen, allein für die Region Ruhr (Gebiet des Regionalverbandes Ruhr) meldeten einzelne Gewährspersonen, dass sie den Spruch auch in ihrer Alltagssprache verwenden, für die Regionen im Rheinland gaben hingegen kaum Befragte an, die Wendung auch aktiv zu nutzen.

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Beispiel eines „krusen Bäumchens“ | © Melburnian, CC BY 2.5
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Beispiel eines „krusen Bäumchens“ | © Melburnian, CC BY 2.5

Neben der Bekanntheit und Verwendung nach Regionen war für die ILR-Erhebung auch die Verbreitung der einzelnen Redewendungen nach Alter interessant. Hier zeigte sich für noch nicht am krusen Bäumchen vorbei sein ein ähnliches Bild wie bei der Unterscheidung nach Regionen: In allen Altersgruppen ist die Wendung nahezu unbekannt. Nur in Altersgruppe 1 (vor 1945 geboren) sowie in Altersgruppe 2 (1946-1965) gaben Gewährspersonen vereinzelt an, die Redewendung in ihrer Alltagssprache zu verwenden. Aus der Gruppe der jüngsten Teilnehmenden (Altersgruppe 4: 1988-2009) hingegen meldete dies niemand mehr.

Redewendungen, also feste Wortverbindungen, die eine bestimmte Bedeutung haben und meist in gleicher oder zumindest ähnlicher Form immer wieder verwendet werden, stellen uns oft vor Rätsel, denn ihre Bedeutung ergibt sich nicht aus denen der einzelnen Wörter, sondern man muss sie in eben jener Form erlernen, um sie zu verstehen.  

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Bekanntheit und Verwendung nach Alter der Gewährspersonen | © Sarah Puckert, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY-SA 4.0
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Bekanntheit und Verwendung nach Alter der Gewährspersonen | © Sarah Puckert, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY-SA 4.0

So stellt sich auch bei noch nicht am krusen Bäumchen vorbei sein die Frage: Was oder wo ist das kruse Bäumchen? Um die Herkunft der Wendung erklären zu können, hilft ein Blick ins große Rheinische Wörterbuch, in dem sich unter dem Stichwort kraus auch der Verweis auf Pflanzen findet (RhWB, Band 4, Sp. 1423 f.). Dort wird der krause Baum beschrieben als ein großer, gut sichtbarer Baum, der allein im Feld steht und nach dem man sich richtet, häufig diente er wohl auch zur Grenzbezeichnung. "Krause" Bäumchen wie die benannten waren früher wohl meist Linden oder Ulmen mit dicht verwachsenen Kronen, die als Landschaftsmarkierungen an Kreuzungen, Grenzsteinen oder Wegkreuzen standen. Diese wurden häufig auch Krüz- oder Krüssboum ‚Kreuzbäume‘ genannt (siehe auch Honnen 2018, S. 305 f.).

Neben der Bekanntheit und Verbreitung einzelner Redewendungen waren die Gewährspersonen der ILR-Erhebung auch dazu aufgefordert, ihnen bekannte Varianten dieser anzugeben. Auffällig ist bei noch nicht am krusen Bäumchen vorbei sein, dass nur wenige Teilnehmende überhaupt eine andere Form meldeten. Angegeben wurde aber untere anderem noch nicht übern Berg sein ebenso wie D_en Tag nicht vor dem Abend loben_ oder noch nicht aller Tage Abend. Zudem führten Gewährspersonen vereinzelt ebenso dialektale Varianten (der Koche is noch net jejessee) wie auch solche der regionalen Umgangssprache (Dat is‘ noch nich‘ Matthäus am letzten) an. Regelmäßig verwiesen die Befragten zudem darauf, dass ihnen die Wendung noch nicht an Schmitz Backes vorbei sein geläufiger sei, zumal diese dieselbe Bedeutung aufweise.

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„der Koche is noch net jejesse“ | © Dagmar Hänel/LVR, CC BY 4.0 (20161111-t019/Archiv des Alltags im Rheinland)
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„der Koche is noch net jejesse“ | © Dagmar Hänel/LVR, CC BY 4.0 (20161111-t019/Archiv des Alltags im Rheinland)