"et ärme Dier kriegen"

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Kennt man im Rheinland die Redewendung et ärme Dier kriegen? Im Herbst 2019 führte das LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte (ILR) eine Online-Erhebung zur Bekanntheit und Verbreitung einzelner Redewendungen der regionalen Umgangssprache in den Kreisen und Städten des Rheinlandes und des Ruhrgebietes durch. Auch nach dem Bekanntheitsgrad von et ärme Dier kriegen wurde bei dieser Erhebung gefragt. Als Bedeutung dieser Wendung ist im gesamten Erhebungsgebiet ‚verrückt, melancholisch werden‘ belegt: en ganzen Tach immer dieselbe Arbeit, da krichse ja et arme Dier. Bei dem Regenwetter krichse dat ärme DierWenn ich da wohnen müsste, würd ich auch dat arme Dier kriegen. (Wörterbuch der rheinischen Alltagssprache).

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Melancholie künstlerisch verarbeitet von Caspar David Friedrich | © gemeinfrei
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Melancholie künstlerisch verarbeitet von Caspar David Friedrich | © gemeinfrei

Mit Blick auf die Bekanntheit und Verbreitung der Wendung zeigt sich ein klares Bild: Sowohl am Niederrhein als auch am Selfkant, dem Bergischen Land und dem zentralen Rheinland um Köln und Bonn gab etwa die Hälfte der Gewährspersonen an, et ärme Dier kriegen zu kennen und auch in der Alltagsprache zu verwenden, nur etwa 20% jeder Region meldeten, dass ihnen die Wendung nicht geläufig ist. Im Ruhrgebiet sehen die Angaben zu Kenntnis und Verwendung hingegen ganz anders aus. Hier gaben etwa 25% der Teilnehmenden an, dass sie die Wendung kennen und gleichfalls auch im Austausch miteinander nutzen, etwa ein Drittel der Gewährspersonen aus den Kreisen und Städten an der Ruhr meldeten dann aber, dass sie et ärme Dier kriegen nicht kennen.

Neben der regionalen Verbreitung wurde bei der Erhebung des ILR im Herbst 2019 auch die Bekanntheit nach dem Alter der Gewährspersonen untersucht. Dabei zeigt sich, dass die Bekanntheit von Altersgruppe 1 (vor 1945 geboren) bis Altersgruppe 4 (1988-2009) kontinuierlich abnimmt. So meldeten etwa drei Viertel der ältesten Teilnehmenden, dass sie et ärme Dier kriegen kennen und auch in der Alltagssprache verwenden, bei den jüngsten Gewährspersonen der Erhebung gaben hingegen mehr als 60% an, die Wendung nicht zu kennen und sie daher auch nicht im täglichen Sprachgebrauch zu verwenden.

Wo aber hat die Wendung et ärme Dier kriegen ihren Ursprung? Das ist nicht ganz so einfach zu beantworten. Zwar gibt es verschiedene Deutungsansätze, davon trifft aber wohl keine zu. In der Alltagssprache ist die Wendung meist in der Form dat arme Dier kriegen gängig, was besonders spannend ist, da die Mischung von hochdeutschen (armekriegen) und mundartlichen (datDier) Wörtern ungewöhnlich erscheint. Dier, wie es auch in der niederländischen Standardsprache heißt, hat seinen Ursprung im althochdeutschen Wort tior und lautet dann bereits im Mittelhochdeutschen tier. Auch in allen rheinischen Mundarten lautet die Form Dier (in unterschiedlichen Laut- und Schreibvarianten; RhWB, Band 8, Sp. 1182).

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Bekanntheit und Verwendung nach Alter der Gewährspersonen, Foto: Sarah Puckert | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY-SA 4.0
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Bekanntheit und Verwendung nach Alter der Gewährspersonen, Foto: Sarah Puckert | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY-SA 4.0

Die Befragten der ILR-Erhebung wurden zudem gebeten, ihnen bekannte Varianten der Redewendung mit einer ähnlichen Bedeutung anzugeben. Dabei wurden vor allem Formen wie Land unter oder Hängen im Schacht, aber auch den Blues kriegen oder dialektale Formen wie en Aap bekumme gemeldet.