Verkleinerungsformen

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Als in einem Interview zum Thema 'Regionale Sprache' ein junger Mann aus der Nähe von Köln gefragt wurde, ob er außerhalb des Rheinlandes aufgrund seiner Sprache schon einmal als Rheinländer 'entlarvt' worden sei, bejahte er lachend und erzählte folgende Geschichte: Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit war er mit Kolleg:innen aus dem gesamten deutschen Sprachgebiet unterwegs. Da verschiedene Ziele angesteuert werden sollten, hatte die Gruppe einen kleinen Bus gemietet. Als er diesen als Büschen bezeichnete, fingen seine Kolleg:innen an zu lachen und sagten: "Ihr Rheinländer müsst auch alles verniedlichen!"

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Ösken und Ösje | © Greven Verlag
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Ösken und Ösje | © Greven Verlag

An dieser Feststellung ist wohl etwas dran - ist doch mit dem Knöllchen eine dieser rheinischen Verniedlichungsformen sogar in die überregionale Umgangssprache exportiert worden. So titeln die Stuttgarter Nachrichten am 02.07.2018 passend zum Start der Urlaubssaison: "Die 'Knöllchen-Offensive'".

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Exportschlager aus dem Rheinland bis nach Mallorca: das Knöllchen | © Stuttgarter Nachrichten
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Exportschlager aus dem Rheinland bis nach Mallorca: das Knöllchen | © Stuttgarter Nachrichten

Im Rheinland gibt es daneben viele weitere Wörter, deren Verniedlichungsformen in der Alltagssprache präsent sind: Pittermännchen und Pinnekens, Gläschen und Fläschken

Wie die Beispiele zeigen, können im rheinischen Regiolekt zwei verschiedene Verkleinerungsvarianten unterschieden werden: -chen (auch -schen ausgesprochen, bedingt durch die Koronalisierung) und -ken. Die Grenzlinie (Benrather Linie) zwischen ihnen verläuft quer durchs Rheinland: Krefeld, Mönchengladbach, Düsseldorf und Solingen liegen nördlich, Aachen, Köln und Bonn südlich.

Ihre Wurzeln haben beide Formen in den Dialekten der jeweiligen Regionen. Die Mundarten nördlich der Benrather Linie haben in der Einzahl -ke (Männeke) und in der Mehrzahl -kes (Männekes). Im Regiolekt werden diese Formen um ein -n erweitert: Männeken und Männekens.

Im südlichen Gebiet rund um Köln können im Dialekt drei unterschiedliche Varianten auftauchen: -je, -che/-sche oder -elche/-elsche. Welche Form an ein Wort 'angehängt' wird, ist dabei von dem Laut abhängig, auf den das Wort endet. Nach stimmlosen Konsonanten wie fssch und h steht -jeHüsje 'Häuschen', Düfje 'Täubchen' oder Kätzje 'Kätzchen'. Nach gkngch und zum Teil auch nach sch steht die Doppelform -elche/-elscheRöggelche 'Roggenbrötchen', Jüngelche 'kleiner Junge' und Fläschelche 'kleine Flasche'. Verkleinerungsformen wie diese sind 'doppeltgemoppelt' - zusammengesetzt aus -le, das im Süden des deutschen Sprachgebiets üblich ist (RadlStadl) und -che/-sche. In allen anderen Fällen steht -che/-scheBierchenPittermänchenKnöllchen; dies ist auch die Form, die im Regiolekt des südlichen Rheinlandes meistens verwendet wird. Die Doppelvarianten -elche/-elsche ist in der Alltagssprache ab und an auch noch zu hören, allerdings häufiger bei älteren als bei jüngeren Menschen, was die Vermutung zulässt, dass sie auf dem Rückzug ist. Nur im Röggelchen wird sie sich wahrscheinlich behaupten können. In einem Fall ist sogar das nördliche -k über die Benrather Linie geschwappt: Männeken ist auch im Kölner Raum zu hören.

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Anlässlich des Festjahres 2021 "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" fuhr diese Straßenbahn durch Köln - und mit ihr ein schöner jiddisch/hebräisch-rheinischer Diminutiv | Haus der Geschichte, Bonn
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Anlässlich des Festjahres 2021 "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" fuhr diese Straßenbahn durch Köln - und mit ihr ein schöner jiddisch/hebräisch-rheinischer Diminutiv | Haus der Geschichte, Bonn