Speicher (Kreis Bitburg-Prüm)

Speicherer Jenisch

Text

Speicher, ein Ort in der Südeifel bei Wittlich, war ein geradezu idealtypisches Hausiererdorf – und damit auch ein klassischer Geheimsprachenort. Die Speicher:innen waren auch überregional gleichsam das Synonym für wandernde Händler:innen schlechthin (wobei damit die benachbarten Hausiererdörfer Ober- und Niederkail einfach eingemeindet wurden). Ursprünglich handelten die Speicher:innen mit Tonwaren, seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit praktisch allem, was sich irgendwie lohnte: Käse, Essig, Kurzwaren, Speck, Schinken oder Zigarren (in der Gegend um Wittlich wurde Tabak angebaut). Eine sehr besondere Handelsware um 1900 waren gerahmte Kunstdrucke (in Speicher selbst waren große Einrahmungsbetriebe entstanden), die sogar in Belgien, Holland und Frankreich vertrieben wurden.

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Blick auf den Bahnhof in Speicher | © Karl von Kues, CC BY 2.0
Bildunterschrift
Blick auf den Bahnhof in Speicher | © Karl von Kues, CC BY 2.0

Diese gerahmten Bilder wurden von im ambulanten Handel Studenten genannt, das Motiv für diese ungewöhnliche Benennung ist heute auch im Ort nicht mehr bekannt.

Die Speicher:innen nannten ihren Rotwelschdialekt Jenisch; sie gehörten allerdings nicht zu den jenischen Landfahrer:innen, sondern haben die in der Südeifel übliche Bezeichnung wohl nur aus Gewohnheit übernommen. Das Speicherer Jenisch ist ein "klassischer" Rotwelschdialekt mit durchaus individuellen Ausprägungen. Die folgen allerdings durchweg den üblichen rotwelschen Bildungssprinzipien: Hischerten 'Ohren', Krebe 'Hand', Kwitsch/Kwitschert 'Arbeit/Arbeiter', Kwetsch 'Kuh', rulen/Rulert 'handeln/Händler', Dep/Deppert 'Mühle/Müller', batunnen 'verkaufen', Bellesje 'Krug', Deiten 'Geld'.

Das Speicherer Jenisch war für Außenstehende, wie bei vielen anderen Rotwelschdialekten, auch deshalb schwer verständlich, weil die sprachliche Besonderheiten der örtlichen Mundart zusätzlich zur Verfremdung beitragen. Dazu gehören der konsequente Wechsel von i zu a (inan, istas, mitmat) und der früher in der Südeifel übliche b-Anlaut anstelle von w (batwas, biwie), der auch die Vorsilbe ver- verändert (behirrijen 'verwüsten', beknätschen 'verraten', behälksen 'verhauen'). Hier eine kleine Liste aus dem Stotzheimer Jenisch mit Satzbeispielen.

bekneesen 'kennen, verstehen' Bekneest Houts, bekneest nierz 'Ausdruck für einen begriffstutzigen Mann' 
daligen 'mit jemandem gehen, einen Freund haben' Et hot noch kän Houz, mad-äm et dalicht
Heischel/Hischel 'Bauch' Den Houz hot en doften Heischel 'dicker Bauch'
Puh Förster De Puh kimmt!
spaanen 'aufpassen, hören' Spaan de Hischerten! 'pass auf'
Uhp 'Pfennig' Wat hos dou Uhpen am Baidel!
wickeln 'essen' Jung, bat hos dou hait gewickel?

Einige wenige jenische Wörter haben im aktuellen Ortsdialekt von Speicher überlebt, dazu gehören Uhp (Synonym für 'Geld'), Wupp (ehemals Strafbescheid für Waldfrevel, heute für 'Knöllchen'), Schnurri 'Schnaps', wickeln, Frippschen ('Soldat') oder die Wendung Plants ma den Irl ('leck mich').

Hier ist zu hören, wie das Speicherer Jenisch geklungen hat.