Vokale im Aachener Dialekt

Text

"Er hätte hier gerne eine Heide" lautet die Übersetzung des Satzes im Teaser. So viele Vokale in so wenig Wörtern sind im Dialekt von Aachen nicht ungewöhnlich. Gut 80 Kilometer trennen Aachen vom Rhein, dafür liegen die Niederlande und Belgien direkt nebenan. Kann man Aachen kulturell und sprachlich also überhaupt zum Rheinland zählen? Und ob! Denn der Aachener Dialekt, dessen Selbstbezeichnung Öcher Platt lautet, gehört zur ripuarischen Dialektgruppe. Durch die geographische Lage der Domstadt bleiben aber südniederfränkische Einflüsse nicht aus, denn auch dieses Sprachgebiet liegt in der direkten Nachbarschaft.
 
Dass das Öcher Platt merklich anders klingt als andere ripuarische Dialekte (zu hören in unserer Sprechenden Sprachkarte) – und als die Standardsprache sowieso –, liegt zu einem großen Teil am besonderen Vokalismus. Denn im Gegensatz zum Hochdeutschen wird im Aachener Dialekt nicht nur zwischen kurzen und langen Vokalen unterschieden, sondern es kommt noch eine dritte, die mittellange Variante, ins Spiel. Es gibt auch deutlich mehr Diphthonge als in der Standardsprache, die nur drei kennt (ei, au und eu/äu, wie in "mein", "Tausch" und "neu"). Das Öcher Platt wartet mit fast zehnmal so vielen verschiedenen Diphthongen auf, in denen auch die drei Vokallängen zum Tragen kommen:

ai/ei: ich hai 'ich hätte'
 
au: en au Frau 'eine alte Frau'
 
eu: heusch 'leise'
 
eij: drej 'drei' – klingt wie ein langes e + j
 
ej/äj: zwej, Wäjsch 'zwei', 'Wäsche' – mittellanges e + j
 
ejj: Kengerejj 'Kinderei' – kurzes e + j

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Zweisprachige Straßenschilder in der Aachener Altstadt | © Verena Krautwald, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte
Bildunterschrift
Zweisprachige Straßenschilder in der Aachener Altstadt | © Verena Krautwald, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte

ou: Kouh 'Kuh', kurz
 
ou: Boum 'Baum', lang mit geschlossenem "o"
 
ou: Knouche 'Knochen‘, lang mit offenem "o"

öü: Köüh 'Kühe', kurz
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öü_: jlöüve 'glauben', mittellang mit offenem "ö"
 
öü: Löüfer 'Läufer', lang mit geschlossenem "ö"
 
öü: löüsche 'ohrfeigen', lang mit offenem "ö"
 
oue: Vouel 'Vogel'
 
öüe: Vöüel 'Vögel'

Oft nicht geschrieben, durchaus aber gesprochen, wird der sogenannte Sprossvokal e in einigen Wörtern:
ae, oe, ue: Blar (klingt wie Blaer), schwor (klingt wie schwoer), Fur (klingt wie Fuer) 'Blätter', 'schwer', 'Futter'.

: heä 'er'
 
ie: Nief 'Neffe', kurz
 
ie: Wietschaff 'Wirtschaft', mittellang
 
iie: Wiiet 'Wirt', lang

oe: oehne 'ohne', kurz
 
öe: Wöet 'Wörter', kurz
 
ooe: jooeh 'gehen', lang
 
ööe: Tööet 'Kanne', lang
 
ue: Tuen 'Ton', kurz
 
ue: Trues 'Trost', mittellang
 
uue: Tuuen 'Turm', lang

üe: jüev 'gäbe', kurz
 
üe: Tüenche 'Tönchen', mittellang
 
üüe: Tüüenche 'Türmchen', lang

Vokale gibt es im Aachener Dialekt auch an Stellen, an denen man sie vielleicht nicht erwartet. Wie in südniederfränkischen Dialekten weichen die Liquiden l und r in bestimmten Kontexten einem Vokal: so wird aus 'alt' ooet, aus 'Wolf' Wouf und aus 'schwarz' schwatt, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Aachener Sagengestalt Bahkauv hieße im Standarddeutschen wohl "Bachkalb". 

Der Aachener Dialekt hat jedoch auch typisch ripuarische Merkmale wie die Rheinische Schärfung und die Koronalisierung und klingt daher für Kenner:innen dieser Dialektgruppe nicht gänzlich fremd.

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Der Name dieses Ungetüms bedeutet "Bachkalb" |  © Verena Krautwald, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte
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Der Name dieses Ungetüms bedeutet "Bachkalb" | © Verena Krautwald, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte