Pfälzische Dialektinsel am Niederrhein

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Pfälzische Koloniegründungen sind in der ganzen Welt zu finden. Aussiedler:innen aus der Pfalz haben sich nicht nur in Bayern, am Niederrhein, in der Mark Brandenburg und in Pommern niedergelassen, sondern auch in Ungarn, Polen, Rumänien, in der Ukraine, in Andalusien, Irland, Dänemark und Brasilien. Im amerikanischen Bundesland Pennsylvania wurde der Begriff Palatines (Pfälzer:innen) gleichsam zum Synonym für die armen deutschen Auswander:innen.

Grund für diese große Bereitschaft die Heimat zu verlassen waren die schlechten Lebensbedingungen in der Pfalz Anfang des 18. Jahrhunderts: "Die Verhältnisse in der Pfalz während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren die denkbar traurigsten", heißt es in einem zeitgenössischen Bericht. Missernten, steigende Bevölkerungszahlen, drückende Abgaben und nicht zuletzt die Verwüstungen im pfälzischen Erbfolgekrieg hatten zu einer bäuerlichen Massenarmut geführt, in der die Auswanderung immer mehr zur lockenden Alternative wurde. Hinzu kam religiöse Intoleranz, die nach den Hugenotten und Mennoniten schließlich auch Protestanten anfällig werden ließ für die Reize des Balkan oder der Neuen Welt. 

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Dorfmittelpunkt von Louisendorf - der rautenförmige Luisenplatz | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte
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Dorfmittelpunkt von Louisendorf - der rautenförmige Luisenplatz | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte

Allerdings war die Passage zur amerikanischen Ostküste nicht ganz billig. Immer mehr Ausreisewillige strandeten ohne Geld in niederländischen Häfen und fielen der dortigen Bevölkerung zur Last. Bald schon ließen die Einreisebehörden in Schenkenschanz Pfälzer:innen ohne gültigen Überfahrtskontrakt nicht mehr in das Land. Davon betroffen war auch eine Gruppe von Ausreisewilligen, die 1741 die Reise in Bacharach angetreten hatte. Etwa zwanzig Familien waren schließlich gezwungen, ihre Reisepläne aufzugeben und sich auf der Gocher Heide anzusiedeln. Unter unvorstellbaren Bedingungen gelang es schließlich, das unfruchtbare Land urbar zu machen. Bis 1777 war durch Zuzug weiterer Familien die Bevölkerung in Pfalzdorf bereits auf nahezu 600 Bewohner angewachsen, 1820 und 1827 schließlich wurden die noch heute bestehenden Tochtersiedlungen Louisendorf und Neulouisendorf gegründet.

Relativ schnell hatte sich die Pfälzerkolonie also zu einem blühenden Gemeinwesen entwickelt. Umso erstaunlicher ist es deshalb, dass die Siedlung bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts ihren Inselcharakter bewahrt hat. Weshalb sprechen die Pfälzer:innen heute immer noch ihren Dialekt und haben nicht die Sprache ihrer Umgebung übernommen? Der entscheidende Grund war die Religion. Obwohl die protestantischen Pfälzer:innen in enger Nachbarschaft zur überwiegend katholischen Bevölkerung am Niederrhein lebten, ist es bis 1900 zu kaum einer Heirat zwischen Angehörigen der beiden Konfessionen gekommen. Die Regel waren eindeutig Hochzeiten innerhalb der pfälzischen Siedlung. Selbst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde noch zu 80 Prozent innerhalb der Kolonie geheiratet. Wenn gleichzeitig berücksichtigt wird, dass bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg alle drei Pfälzerdörfer ihre eigenen, konfessionell gebundenen Schulen besessen haben, so verwundert es nicht, dass die pfälzische Sprachinsel nun schon seit 250 Jahren Bestand hat.

Merkmale des Pfälzer Inseldialekts

Der pfälzische Dialekt der Dorfbewohner:innen, von ihnen selbst Pälzersch genannt, unterscheidet sich deutlich von der deutschen Standardsprache. Und noch mehr Unterschiede weist er zur kleverländischen Mundart der umliegenden niederrheinischen Orte auf. Markante Differenzen ergeben sich durch die geographische Lage des pfälzischen 'Ausgangs'-Dialekts, der zum rheinfränkischen Sprachraum zählt, und dem Kleverländischen (niederfränkischer Sprachraum). Denn wie in alle niederdeutschen Dialekte, die nördlich der Benrather Linie liegen, ist am Niederrhein die zweite Lautverschiebung nicht eingetreten, hier heißt es maken 'machen', Water 'Wasser' und Dorp 'Dorf'. Dahingegen lauten die Wörter im Pfälzischen mache, Wasser und Dorf/Därf. Nur der Konsonant p tritt auch im Pfälzischen unverschoben auf: Abbel 'Apfel' und Pund 'Pfund' (Kleverländisch: Appel und Pont). Typisch für den pfälzischen Dialekt der Gegend um Bad Kreuznach (und diesem ähnelt die Variante in den niederrheinischen Orten am meisten) ist die Aussprache von /st/ als scht: fescht 'fest', Schweschter 'Schwester' und Nescht 'Nest' ist hier zu hören. Auffällig ist außerdem der sogenannte Rhotazismus: Zwischen zwei Vokalen stehendes /d/ und /t/ wird im Pälzersch zu /r/: So wird aus 'weiter' weire, aus 'später' späre und aus 'Bruder' Brure. Auch die Vokale treten im pfälzischen Dialekt abweichend zum Standarddeutschen und zum Kleverländischen auf. Häufig ist zum Beispiel die so genannte Entrundung von /ü/ und /ö/: Stick 'Stück', grien 'grün' und scheen 'schön'.

Diese Besonderheiten hat auch schon Georg Wenker, der Ende des 19. Jahrhunderts eine großangelegte Dialekterhebung im Deutschen Reich durchgeführt hat, auf seinen Karten verzeichnet:

Wie weit die Niederrheiner:innen in Kalkar sprachlich gesehen von ihren pfälzischen Nachbar:innen entfernt sind, illustrieren die folgenden Aufnahmen. Zuerst der bekannteste Pfälzer, Jakob Imig. Zum Vergleich ein kleverländischer Dialekt aus der Louisendorfer Nachbargemeinde Hasselt. Zwei jüngere Aufnahmen aus Louisendorf und Pfalzdorf dokumentieren den aktuellen Sprachstand des pfälzischen Inseldialekts. Wer einen Eindruck davon erhalten möchte, wie heute in der ehemaligen Heimat der Auswander:innen gesprochen wird, der höre diese Aufnahme aus Rheinböllen.

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Ausschnitt aus der Karte "Wasser" aus dem Deutschen Sprachatlas von Georg Wenker | © Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas, Marburg
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Ausschnitt aus der Karte "Wasser" aus dem Deutschen Sprachatlas von Georg Wenker | © Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas, Marburg

Sprachsituation heute

Doch so stabil die Sprachsituation in der Pfälzischen Dialektinsel am Niederrhein lange Zeit war - seit der Mitte des 20. Jahrhunderts sind deutliche Veränderungen zu beobachten. Diese wurden durch verschiedene Faktoren ausgelöst, die allesamt dazu führten, dass der Pfälzischen Dialekt heute von den Bewohner:innen der drei Dörfer immer seltener gesprochen wird. In den 1960er und 1970er Jahren fand im gesamten Rheinland eine umfassende kommunale Neugliederung statt, so auch am Niederrhein. Diese führte dazu, dass die drei bis dahin selbst verwalteten Pfalzdörfer drei unterschiedlichen Orten zugewiesen wurden: Pfalzdorf wurde in die Stadt Goch eingemeindet, Louisendorf in die Gemeinde Bedburg-Hau und Neulouisendorf in die Stadt Kalkar. Im Zuge dessen veränderten sich auch die Schulorte, so dass die Kinder aus den Dialektinseldörfer bereits früher Kontakt mit Kindern aus den umliegenden Orten bekamen. Und auch in anderen Bereichen des alltäglichen Lebens (Einkaufen, Amtsgänge, Arztbesuche etc.) veränderten sich dadurch für die einzelnen Dörfer die Bezugspunkte. Außerdem wurden durch die zunehmende Milderung der religiösen Ansichten immer häufiger Ehen zwischen protestantischen Pfälzer:innen und katholischen Niederrheiner:innen geschlossen. All diese Entwicklungen führten dazu, dass die Pfälzerkolonie im Alltag immer mehr Kontakt mit Nicht-Pfälzer:innen hatte - und mit diesen sprachen sie nicht Pälzersch, sondern in den meisten Fällen eine Variante der niederrheinischen Alltagssprache.

Doch auch innerhalb der pfälzischen Familien und den ursprünglichen Dorfbewohner:innen nahm die Verwendung des Heimatdialekts ab. Dies war vor allem dadurch bedingt, dass sich seit den 1970er Jahren immer mehr Eltern dazu entschieden - wie im restlichen Rheinland auch -, ihren Kindern als Muttersprache nicht den Dialekt, sondern eine Form des Hochdeutschen zu vermitteln. Wie eine Studie aus dem Jahr 2017 zeigt, wirkt sich diese Entscheidung deutlich auf den Pfälzer Dialekt aus: Die jüngeren Leute in Pfalzdorf, Louisendorf und Neulouisendorf verwenden in ihrer Alltagssprache zunehmend Merkmale der niederrheinischen Umgangssprache statt Varianten des Pälzersch. Dennoch gebrauchen auch sie für einige alltägliche Wörter noch die pfälzische Form wie zum Beispiel Kinner 'Kinder', heere 'hören', gefroot 'gefragt' und Kich 'Küche' (Beyer 2017, S. 207). Diese Verwendung geschieht in einigen Fällen durchaus absichtlich - auch die jüngeren Dialektinselbewohner:innen sind sich ihrer besonderen Geschichte bewusst und zeigen sich auch nach außen gerne noch als Pfälzer:innen.