Sprachkarten: Geschichte und Kategorisierung

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Wo spricht man so wie ich, wo anders? Wie weit ist eine bestimmte Variante (etwa ein Wort, ein Laut oder eine grammatische Form) verbreitet? Wo sagt man Öllich, wo Look? Wie klingt Tasche in Krefeld, wie in Bonn?

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Wenkerfragebogen aus Köln, 1884
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Wenkerfragebogen aus Köln, 1884

Sprachkartographie: Entstehung und Geschichte

Mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich die Sprachgeographie (auch Areallinguistik), die bei ihrer Arbeit auf Sprachkarten zurückgreift. Diese Sprachkarten sind dann einerseits Forschungsinstrument – sie helfen, Sprachgebiete und Sprachbewegungen im Raum zu erkennen – aber gleichzeitig auch Präsentationsmedium, denn diese Karten können auch dazu dienen, diese Areale und Bewegungen zu erkennen und sichtbar zu machen. Ziel ist es also immer, die sprachlichen Besonderheiten einer Region möglichst umfangreich hinsichtlich ihrer geographischen Verbreitung zu dokumentieren. 

Vor zwei Jahrhunderten, am Anfang der sprachgeographischen Forschung, stand die Erforschung der Dialekte und ihrer Varianten im Vordergrund. Neben Schmeller, der für Bayern eine Übersichtskarte der Mundarten Bayerns erstellt hat, ist vor allem Georg Wenker als einer der Gründerväter der Sprachkartographie zu nennen. Wenker plante um 1880 die Dokumentation der Dialekte Deutschlands, wofür er mithilfe eines Fragebogens etwa 40.000 Lehrer in ganz Deutschland zu unterschiedlichen lautlichen und grammatischen Phänomenen der Dialekte befragte (hier können Sie weiteres zu Georg Wenker und seiner Arbeit lesen). Die Ergebnisse dieser Erhebung wurden dann handschriftlich mit großem Aufwand in riesige Kartenblätter übertragen. Gebiete, in denen derselbe Typ (und teilweise einzelne Varianten) genannt wurden, umrandete Wenker mit einer Farbe und notierte in diesen Regionen eine Leitform (eine Form, die als Prototyp der Region gilt). Waren innerhalb eines solchen Gebietes weitere Formen bei der Erhebung genannt worden, wurden diese mithilfe andersfarbiger Symbole am jeweiligen Ortspunkt eingetragen (hier können Sie einen Blick auf die Karten Wenkers werfen).

Sprachkarten: Kategorisierung

Längst werden nicht mehr nur Karten für den Dialekt, sondern auch für regionale Umgangssprachen (den Regiolekt) wie für die räumliche Verbreitung einzelner Varianten der Standardsprache gezeichnet. Als Grundlage der Karten dienen dabei zumeist Erhebungen – sowohl vor Ort als auch mithilfe von Fragebögen. Die mithilfe der Ergebnisse der Erhebungen erstellten Sprachkarten können dann in Flächen- und Punktsymbolkarten unterteilt werden: In Flächenkarten, auch Linienkarten, werden einzelne Sprachgebiete oder Areale, in denen eine bestimmte Variante überwiegend belegt ist, durch Linien voneinander abgegrenzt, sodass Flächen entstehen. Und seitdem Farbkarten gezeichnet werden, erhalten diese Flächen zur besseren Unterscheidung zudem meist unterschiedliche Farben. Die Karte des Rheinischen Fächers ist ein Prototyp für diese Kartenart.

Ganz anders fallen hingegen die Punktsymbolkarten aus: Sie präsentieren das Material für jeden Ort einzeln. Hier ist also – anders als bei der Flächenkarte – direkt zu erkennen, für welchen Ort Material vorlag und in die Karte eingezeichnet werden konnte und für welchen nicht. Zudem gibt es für jeden Ort einen einzelnen Beleg, die Variation innerhalb einer Sprachregion kann so deutlich dargestellt werden.

Dialekt- und Regiolektkarten

In unserem Portal finden sich zahlreiche Dialektkarten: Neben Wort-, Laut- und Grammatikkarten für das gesamte Rheinland lassen sich auch Dialektkarten für sehr kleine Räume zeichnen, da sich ja überall bereits Nachbarorte durch ihre Dialekte unterscheiden; solche kleinräumigen Sprachkarten finden sich in unserem Portal etwa für Wuppertal oder den Kreis Viersen.

Dabei sind die Dialektkarten (mit Ausnahme der Einteilungskarten) identisch aufgebaut: Für jeden Ort ist diejenige Variante, die dort am häufigsten gemeldet wurde, kartiert. Nannten Gewährspersonen auf ihrem Fragebogen hingegen zwei oder mehr Synonyme mit der gleichen Häufigkeit für einen Ort so erhielt dieser einen Punkt in lila. Lila wurde auch verwendet, wenn eine Variante, die nicht in der Kartenlegende vermerkt ist, auf dem Fragebogen einer Gewährsperson angegeben wurde. Ein Problem dieser scheinbar übersichtlichen Sprachkarten ist allerdings gerade diese örtliche Variation. Gibt es in einem Dorf oder einer Stadt mehrere Varianten oder Synonyme, dann kann durch deren Berücksichtigung das Kartenbild schnell unübersichtlich werden; lässt man die konkurrierenden Formen aus, scheinen die Karten komplikationslos und leicht verständlich, was sie häufig nicht sind. Die Karte Schluckauf ist ein Beispiel für eine solche Punktsymbolkarte, auf der auch die Varianz der einzelnen Bezeichnungen deutlich wird.

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Fragebogen dienen als Grundlage dieser Sprachkarte | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte
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Fragebogen dienen als Grundlage dieser Sprachkarte | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte

Neben den zahlreichen Dialektkarten finden sich in dieser Rubrik auch einige Karten zu Phänomenen der Regiolekte (Wort-, Laut-, Grammatikkarten und Karten zu Redewendungen). Diese Regiolektkarten unterscheiden sich im Aufbau geringfügig von denen der Dialektkarten, denn bei den Karten zur regionalen Umgangssprache wurden die Antworten der Gewährspersonen nach Kommunen sortiert und kartiert. Dabei zeigen auch die Regiolektkarten Punktsymbole auf, diese sind aber anders zu lesen: Die Regiolektkarten bestehen aus einfarbigen Symbolen und solchen mit unterschiedlicher Farbeinteilung. Einfarbige Symbole wurden verwendet, wenn alle Gewährspersonen aus einem Ort dieselbe Variante angaben. Wurde hingegen mehr als eine Variante gemeldet, hat das Symbol ein andersfarbiges Viertel (unten) für die zweithäufigste Variante. Kamen zwei konkurrierende Wörter auf gleich viele Nennungen, zeigt das Symbol Halbe-Halbe. Lila wird bei diesen Karten ebenso wie bei den Dialektkarten verwendet: Gab es mehr als zwei konkurrierende Formen in derselben Anzahl, erhielt der Ort einen Punkt in lila. Das gilt auch für Varianten, die nicht in der Kartenlegende zu finden sind. Da sich die regionalen Umgangssprachen im Rheinland von Generation zu Generation häufig deutlich unterscheiden, wurde innerhalb der Regiolekte zudem nach dem Lebensalter der Gewährspersonen unterschieden (etwa die Karte Fußball spielen).

Typen von Sprachkarten

Innerhalb der Kategorien Dialekt- und Regiolektkarten wird zudem zwischen verschiedenen Schwerpunkten der Karten unterschieden: Wird auf einer Karte die räumliche Verbreitung unterschiedlicher Bezeichnungen für ein und denselben Begriff dargestellt, handelt es sich um eine „Wortkarte“. Diese lassen sich selbst für das im Rheinland gesprochene Hochdeutsch zeichnen, wie etwa die Karte Dachboden zeigt. Auch lautliche Unterschiede („Lautkarten“, wie etwa die Beispiele zur e-/n-Tilgung oder die Verbreitung der Koronalisierung) und grammatische Phänomene („Grammatikkarten“, zum Beispiel die Verwendung des Artikels bei einzelnen Begriffen), die typisch für das Rheinland sind, lassen sich auf Punktsymbolkarten problemlos darstellen. Um das Verständnis der Sprachkarten zu unterstützen, liegt zu jeder der Sprachkarten dieser Rubrik zudem ein Kartenkommentar vor, in dem das Kartenbild erläutert wird.