Ranzen

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Im „Wortatlas der deutschen Umgangssprachen“ (WDU) ist eine Karte dem „Schulranzen“ gewidmet (Eichhoff 1978, Karte 88). Für das Gebiet der alten Bundesländer zeichnet sich darauf eine klare Zweiteilung ab: Im Norden dominiert Tornister (einschließlich Schultornister), im Süden Schulranzen (einschließlich Ranzen). Einige weitere Bezeichnungen kommen kleinräumig vor (siehe unten). Im Folgenden werden die Varianten mit und ohne Schul- als Erstglied stets zusammengefasst. Auf der WDU-Karte haben die Orte im Westfälischen Tornister, einige Male daneben auch Ranzen. Der untere Niederrhein schließt daran an, während sich zum Süden hin die Verhältnisse umkehren: Südlich einer Linie von Düren über Bergisch Gladbach und Gummersbach gibt es nur noch einen vereinzelten Beleg für Tornister. Von der Eifel bis zum Bodensee herrscht dann Ranzen vor.

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Ranzen | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0
Bildunterschrift
Ranzen | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

Auf der hier vorgestellten Karte verteilen sich Tornister (orange) und Ranzen (blau) nach demselben geografischen Muster, ins Auge sticht allerdings, dass im äußersten Westen des Rheinlands auch Tasche/Schultasche (rosa) recht oft genannt wurde, vor allem in einem Streifen zwischen dem Selfkant und der Eifel. Auf der WDU-Karte, die im Vergleich deutlich weniger Ortspunkte aufweist, wird die Schultasche im Westen Deutschlands für Aachen und Hellenthal angezeigt.

Die Bezeichnung Schultasche für den ‚Schulranzen‘ taucht, wie die WDU-Karte zeigt, auch anderswo in Deutschland auf (hier weiter eingegrenzt auf die alten Bundesländer), so im Osten Bayerns (unter anderem in Straubing und Passau). Ebendort ist auch Schulpack zu hören (unter anderem in Bad Reichenhall); beide Bezeichnungen werden ebenfalls im benachbarten Österreich verwendet. Am Unterlauf des Main und südlich davon (in Franken) ist Büchertasche bekannt (unter anderem in Würzburg und Nürnberg). Hoch im Norden, in Schleswig-Holstein und an der niedersächsischen Nordseeküste, lauten die alten Bezeichnungen Ranzel und Ränzel (der R.).

Der Tornister hat eine interessante Wortgeschichte vorzuweisen. Das Wort wurde im ostmitteldeutschen Sprachraum aus dem Tschechischen und/oder Slowakischen entlehnt. Lange Zeit diente es als Bezeichnung für den Ranzen des Soldaten, wurde später dann aber auch auf den des Schulkindes übertragen: Schultornister.

Das Material für die Karte entstammt einer ILR-Fragebogenerhebung des Jahres 2012, wobei hier nur die Antworten aus der Altersgruppe 45–64 Jahre (bezogen auf 2012) berücksichtigt wurden – und auch die nicht in ihrer Gesamtheit. Denn wenn für eine Kommune elf oder mehr ausgefüllte Fragebögen vorlagen, wurden nur zehn herangezogen: die der zehn vom Alter her in der Mitte liegenden Personen. Wurde für eine Kommune nur eine einzige Variante gemeldet, erscheint ein einfarbiges Kreissymbol. Das in der Mitte geteilte Symbol zeigt an, dass zwei Varianten gleich stark waren. Kam eine Variante häufiger als eine/die zweite vor, wurde das Dreiviertelsymbol gewählt. Lila schließlich steht für eine andere zahlenmäßige Variantenkonstellation oder für eine weitere, nicht in der Kartenlegende aufgeführte Variante.

Der Fragebogen enthielt das Foto eines auf dem Rücken getragenen Schultornisters. Eine Verwechslung mit der an der Hand mitgeführten Büchertasche war eigentlich nicht möglich

Es liegen auch Fragebögen junger Leute vor. Sie zeigen, dass Schülerinnen und Schüler im rheinländischen Tornister-Gebiet gern die Kurzform Toni (der T.) benutzen. Sie schließt nahtlos an die Aussprachevariante Tonister an. Besonders beliebt ist der Toni im Raum Geldern-Krefeld-Düsseldorf-Grevenbroich. Eine weitere Kurzform lautet Tonne (die T.), als Ausgangsform kommt in diesem Fall die Lautung Tonnister infrage. Schließlich wurde auch Tonnek (der T.) ins Spiel gebracht, von jungen Leuten in Oberhausen. Tonnek gehört zu einer großen Gruppe dem Sprachspiel zu verdankender Bildungen auf -ek wie Fussek, Pastek oder Platzek (s. Honnen 2006 und 2018, S. 438ff.). Diese ek-Spielereien sind im Ruhrgebiet entstanden und knüpften an slawische Wörter dieses Auslauts an. Mottek ‚(schwerer) Hammer‘ ist eine der Vorlagen, auch Familiennamen wie Katschmarek (Kaczmarek) dienen als Muster. Der Pastek ist eine spaßige Bezeichnung für den Pastor, der Platzek schließt an den Platzwart an, und Fussek meint den Fußball. Da war der Weg zum Tonnek gar nicht mehr weit.