Krüstchen

Text

Auf dem ILR-Fragebogen von 2012 ist nach den Bezeichnungen für das „Brotende“ gefragt worden, wobei sowohl „das erste“ als auch das „letzte Stück vom Brot“ erwähnt wurde (ILR-Sprachfragebogen 10, Frage 15). Es handelt sich dabei um eine der Lieblingsfragen zum regionalen Wortschatz im deutschen Sprachraum, so dass sehr reiches Vergleichsmaterial herangezogen werden kann; genannt seien folgende Wortkarten:

Dialekt à la carte 1993, Karte 45 (für den Dialekt)
Lausberg/Möller: Rheinischer Wortatlas 2000, Karte 13 (für den Dialekt)
Eichhoff: Wortatlas der deutschen Umgangssprachen. Band 2, 1978, Karte 57 (für die Umgangssprache/den Regiolekt)
Atlas zur deutschen Alltagssprache, Runde 10 (für die Alltagssprache)
(Erneut aufgegriffen in: Leemann/Elspaß/Möller/Grossenbacher 2018, Karte 10)

Bild
Krüstchen | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0
Bildunterschrift
Krüstchen | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

Die häufigsten Bezeichnungen im Gebiet zwischen Emmerich und Blankenheim sind auf der hier präsentierten Karte berücksichtigt worden; die Legende enthält jeweils eine oder zwei der zahlreichen lautlichen Varianten.

Hinsichtlich der räumlichen Verteilung fällt die Ballung der Knäppken/Knäppchen-Belege (rot) rechts des Rheins mit einigen Ausläufern im Linksrheinischen ins Auge. Dabei kommt Knäppken im Norden und Knäppchen im Süden vor, die beiden Varianten dieser Verkleinerungsform orientieren sich an der Benrather Linie. Kursch/Körstken (orange) sind dialektale Entsprechungen von standarddeutsch Kruste, die den Sprung in den Regiolekt geschafft haben. Im Dialekt haben der Vokal und das r also ihre Positionen vertauscht, analog zu niederländisch korst. Varianten von Körstken (niederrheinisch) oder Kursch begegnen im gesamten linksrheinischen Raum: von Kranenburg über Mönchengladbach und Hürtgenwald bis nach Dahlem und Blankenheim. Dagegen folgt bei Kruste und Krüstchen (grün) das r wie im Hochdeutschen auf den Vokal. Diese Varianten sind linksrheinisch fast überall belegt (bis auf den nördlichsten Teil des Niederrheins), sie zeigen sich einige Male auch östlich des Rheins (etwa in Velbert, Engelskirchen oder Rösrath).

Knust (gelb) taucht an den verschiedensten Stellen der Karte auf, vergleichsweise häufig zwischen Grevenbroich, Bonn und Neukirchen-Seelscheid; Knust wurde aber auch ganz im Norden genannt, beispielsweise in Bedburg-Hau. Recht selten ist auf der Karte die Farbe blau für Knippchen zu finden, die Belege für diese nur kleinräumig auftretende Bezeichnung ballen sich zwischen Bornheim, Bonn und Waldbröl. Die Belege für Kante(n) (braun) schließlich treten verstreut auf.

Für die Etymologie von Knäppken/Knäppchen wird auf Wörter wie Knabben oder Knabbel verwiesen, die etwas Rundliches oder eine Verdickung bezeichnen. Bei Knippchen verhält es sich ähnlich, hier gibt es eine Nähe zu Knupp oder Knubbel. Der kn-Anlaut wiederholt sich bei Knust; im „Rheinischen Wortatlas“ wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass zahlreiche Wörter mit diesem Anlaut Rundliches oder Verdickungen bezeichnen: Knolle, Knopf, Knubbel (Lausberg/Möller 2000, Kommentar zu Karte 13). Kursch/Körstken und Kruste/Krüstchen gehen auf dieselbe Wurzel zurück wie hochdeutsch Kruste; es ist lateinisch crusta ‚Rinde‘.

Bei einem Vergleich der vorliegenden Regiolektkarte mit ihrem Pendant für die Dialektebene im „Rheinischen Wortatlas“ fällt auf, dass die Entsprechungen zu Kursch/Körstken in den Dialekten deutlich häufiger vorkommen, dafür ist im Regiolekt öfter Kruste/Krüstchen zu finden. Knust wiederum wurde für den Regiolekt häufiger genannt. Auf der Karte im „Rheinischen Wortatlas“ ist im Raum Rees-Wesel mehrfach Mäcksken (und ähnlich) zu finden; das deckt sich mit der entsprechenden Karte im Dialektatlas „Dialekt à la Carte“ (Karte 45). In der ILR-Erhebung von 2012 wurde Mäcksken einmal für Emmerich neben anderen Bezeichnungen gemeldet, es verbirgt sich hier also hinter der Farbe lila („andere“).

Auf der Karte werden die Antworten der, bezogen auf das Jahr 2012, 45 bis 64 Jahre alten Gewährspersonen dargestellt. Lagen für eine Kommune mehr Fragebögen für diese Altersgruppe vor, wurden nur zehn für die Karte berücksichtigt (und zwar die der zehn vom Alter her in der Mitte liegenden Personen). Das Kreissymbol ist einfarbig und ungeteilt, wenn für eine Kommune nur eine einzige Variante einzuzeichnen war. Dagegen signalisiert das Halbe-halbe-Symbol, dass zwei Varianten in gleicher Anzahl genannt worden waren. Kam eine Variante häufiger als die zweite vor, wurde das Dreiviertelsymbol gewählt. Lila steht für eine andere zahlenmäßige Variantenkonstellation oder für eine weitere Bezeichnung (die nicht in der Kartenlegende aufgeführt ist). 

Es gibt im deutschen Sprachraum eine Unzahl von Bezeichnungen für das Endstück eines Brotlaibs. Ein Grund für die Vielfalt wird darin gesehen, dass man solche Wörter vor allem zuhause verwendet und dass sie im schulischen Deutschunterricht in der Regel nicht auftauchen: Also sehr viel Familiensprache und örtliche Sprache. Nach den Ergebnissen des „Atlas zur deutschen Alltagssprache“ dominieren im Norden Deutschlands Knust (Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen) und Kante(n) (von Mecklenburg-Vorpommern bis Thüringen) (AdA, Runde zehn, siehe auch Leemann/Elspaß/Möller/Grossenbacher 2018, Karte 10). In Bayern und Österreich sagen die Leute Scherz oder Scherze(r)l. Im Südwesten des Sprachgebiets dominiert Anschnitt, an das sich von Stuttgart über Koblenz und Köln bis an den Niederrhein Kruste anschließt. Das nach der ILR-Karte auch am Niederrhein verwendete Knäppken/Knäppchen herrscht im benachbarten Westfalen vor. Daneben taucht auf der AdA-Karte, wie gesagt, eine Vielzahl (mehr oder weniger verständlicher) Bezeichnungen auf; ganz im Süden des Sprachraums, in Südtirol, nennt man das Brotende allerdings lapidar: Ende.