Platt/Plott

Text

Im Kreis Viersen würden einige Dialektsprecher:innen mit Fug und Recht von sich behaupten: "Esch kall Plott". Dabei bezeichnet Plott die plattdeutsche Mundart des westlichen Viersener Raumes (Brüggen, Niederkrüchten, Schwalmtal, Nettetal, Grefrath), während im Osten (Kempen, Sankt Tönis, Willich) mehrheitlich die allgemeine rheinische Bezeichnung Platt vorherrscht. Beide Formen kommen auch mit Langvokal ausgesprochen vor: aus kurzem Platt wird dann langes Plaat. Diese Variante ist belegt für Rahser. Gleichermaßen wird kurzes Plott mit Langvokal zu Ploot/Ploat. Beide Lautvarianten wurden auf der Karte unter Ploat zusammengefasst: Nennungen eines langen o sind in Elmpt und in Lobberich auf der Karte zu finden.

Insgesamt repräsentiert die Varianz von Platt/Plott und der dahinterstehende Lautwandel ein Phänomen, das innerhalb der Dialekte des Rheinlands einzigartig ist. Auffällig ist, dass das Verbreitungsgebiet des Lautwandels von kurzem a zu o im Vergleich mit einer Untersuchung von 1913 zurückgegangen ist. Interessant dabei ist, dass es heutzutage ausschließlich in der Grenzregion zu den Niederlanden nachgewiesen werden kann und dass die politische Grenze in diesem Fall tatsächlich auch als Lautgrenze fungiert.

Bild
Platt/Plott | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0
Bildunterschrift
Platt/Plott | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

Grundlage für diese Lautkarte stellte ein Fragebogen dar, der 2017 in einer Tageszeitung des Kreises Viersen abgedruckt worden war. Der Rücklauf umfasste mehr als 280 von Dialektsprecher:innen ausgefüllte Fragebögen aus 52 verschiedenen Orten, die nun jeweils von einem Ortspunkt repräsentiert werden. Die Befragten wurden dabei gebeten, den Satz "Ich spreche Platt" in ihren Heimatdialekt zu übersetzen. Eine weitere Frage auf diesem Fragebogen beschäftigte sich mit der Aussprache von Nacht. Das Ergebnis der Auswertung zeigte einen vergleichbaren Lautgegensatz von Ost und West innerhalb des Kreises Viersen, wie er auf der obigen Karte zu Platt/Plott zu sehen ist.

Es handelt sich bei der Varianz von Platt/Plott um das Ergebnis eines Lautwandels, bei dem ein a in geschlossener Silbe zu o wird. Theodor Frings beschäftigte sich als gebürtiger Dülkener in seiner Dissertation 1913 intensiv mit dem Dialekt seiner Heimat. Dabei listete er unter anderem weitere Beispiele auf, in denen sich die Aussprache einiger Wörter in seiner Geburtsstadt Dülken hinsichtlich der Vokalqualität von anderen rheinischen Dialekten unterscheidet: BonkBank, HolsHals, lochelache.
Auf der Karte kann man sehen, dass in Dülken heutzutage zwar immer noch mehrheitlich Plott verwendet wird, dies aber nicht die einzige Variante darstellt. 21 der in Dülken befragten Personen übersetzten 'Platt' mit Plott, während weitere 5 die Variante Platt aufschrieben. Theodor Frings zählte die Stadt Viersen sowie die umliegenden Ortschaften Heimer, Ummer und Helenabrunn (alle Kommune Viersen) noch uneingeschränkt zum Geltungsbereich des a/o- Lautwandels. In der Stadt Viersen hat sich die Situation allerdings heutzutage gewandelt, denn dort überwogen in der Befragung von 2017 die Nennungen von Platt (18) gegenüber 5 Nennungen von Plott, während in Helenabrunn, Heimer und Ummer schon ausschließlich Platt vorkam.

Auf der Karte lässt sich eindeutig eine Übergangsregion ausmachen, in der beide Varianten in unterschiedlichen Häufigkeiten aufeinandertreffen. Eine solche Linie zwischen den unter-schiedlichen Aussprachen ließe sich von Dülken über Süchteln, Vorst (zu Tönisvorst) bis hin nach Sankt Hubert (zu Kempen) ziehen. Vorst stellt zudem einen Sonderfall dar, weil hier mehr als zwei Varianten nebeneinander existieren. Deswegen ist der Ortspunkt lila eingefärbt (siehe unten). So war die Angabe auf einem Vorster Fragebogen: "Esch kall Plott oder Platt", daneben wurde auch die Variante mit einem Langvokal genannt: Ploot. Diese Beobachtung bekräftigt aufs Neue, dass Vorst sich mitten im Übergangsbereich zwischen Platt, Plott und Varianten befindet. Sprachen kennen eben fließende Übergänge.

Ein Abgleich mit einer weiteren flächendeckenden Befragung des LVR Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte, dem Fragebogen 11 (2017) hat gezeigt, dass das Verbreitungsgebiet von Plott/Ploat über die Grenzen des Kreises Viersen hinausreicht. Im Norden herrscht dieselbe Variante in der Gemeinde Straelen vor, die nördlichste Nennung kam aus Walbeck. Im Süden weisen einige Orte in Wegberg bis hin nach Waldfeucht und Hontem im Kreis Heinsberg Plott/Ploat auf. Frings hatte bei seiner Befragung 1913 den Heinsberger Raum von Wildenrath bis nach Waldenrath als eine Art "Kompromissbereich" bezeichnet, in dem der Lautwandel von kurzem a zu kurzem o zwar nicht konsequent durchgeführt wurde, aber dennoch regelmäßig anzutreffen war. Allerdings hat er die Aussprache einzelner Wörter nicht im Hinblick auf ihre Varianz im Raum nachgewiesen. Über die Verbreitung des Phänomens zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Norden des Kreises Viersen und darüber hinaus teilt uns die Dissertation von Theodor Frings nichts mit, da sein Untersuchungsgebiet bei Kaldenkirchen, Lobberich und Grefrath endete. 

Das Verbreitungsgebiet von Plott befindet sich unmittelbar an der Grenze zu den Niederlanden. Diese Grenze stellt interessanterweise hier auch die Randmarkierung für die Verbreitung von Plott/Ploat dar, obwohl die jenseits der politischen Grenze gesprochenen Dialekte sprachgeschichtlich eng mit den niederrheinischen verwandt sind, siehe Karte. Trotzdem finden sich im "Phonologischen Atlas der niederländischen Dialekte" für die Grenzregion zu Viersen keine Belege für die Aussprache eines kurzen a als o in geschlossener Silbe. Ein Blick in die Wörterbücher zum Dialekt in Venlo und Roermond, beides Grenzstädte des Kreises Viersen, führt zum selben Ergebnis: Weder der Eintrag Platt noch andere Wörter mit -att- beinhalten ein o. Im Folgenden aufgelistet finden sich die überprüften Einträge aus dem "Remunjs Waordenbook" (Standarddeutsch – Roermonder Dialekt):

mattmat, Mattemat, platt - plat, Platte - plaat, Ratte - ratte, sattzaat.

Die Dialektkarte besteht aus einfarbigen Symbolen und Symbolen mit unterschiedlicher Farbeinteilung. Einfarbige Symbole wurden verwendet, wenn alle Gewährsleute aus einem Ort dieselbe Lautvariante genannt haben. Wenn mehr als eine Variante gemeldet wurde, hat das Symbol ein kleines andersfarbiges Fenster (unten) für die zweithäufigste Variante. Kamen zwei konkurrierende Wörter auf gleich viele Nennungen, zeigt das Symbol Halbe-Halbe. Gab es mehr als zwei konkurrierende Lautvarianten in derselben Anzahl, ist der Ortspunkt lila eingefärbt. Auf dieser Karte betrifft dies ausschließlich Vorst (zu Tönisvorst). 

Bild
Verteilung von a und o | aus: Frings 1913
Bildunterschrift
Verteilung von a und o | aus: Frings 1913