Benrather Linie

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Bei der Benrather Linie handelt es sich um eine gedachte Linie, die der Abgrenzung der niederdeutschen (einschließlich der niederfränkischen) Dialekte von den hochdeutschen Dialekten dient. Im Kern markiert die Linie den Gegensatz zwischen make oder maken 'machen' im Norden und dem Süden, dessen Dialekte in diesem Wort wie das Standarddeutsche einen ch-Laut haben. Von Bedeutung ist die Linie deshalb, weil sie über maken-machen hinaus (tendenziell) eine sehr große Anzahl von Gegensätzen bei bestimmten Konsonanten voneinander abgrenzt: KöökKöch 'Küche', SeepSeef 'Seife', schwattschwatz 'schwarz' usw. Entstanden sind die Lautgegensätze im Rahmen der "Zweiten Lautverschiebung" vor mehr als tausend Jahren.

Die Benrather Linie erhielt ihren Namen im Jahr 1877, als sie von Georg Wenker "getauft" wurde, der ihren Verlauf im Rheinland in seiner damals erschienenen Schrift "Das rheinische Platt" beschrieb. Die gedachte Linie trennt die beiden großen Dialekträume im Rheinland sowie im übrigen deutschen Sprachraum; außerdem durchquert sie die Niederlande und Belgien.

Auf der Karte ist der Verlauf dieser Linie im Rheinland im ausgehenden 19. Jahrhundert dargestellt. Geht man vom westlichsten Punkt der Linie im Rheinland bei Übach-Palenberg aus, wendet sie sich von dort nach Nordosten in Richtung Möchengladbach, ohne diese Stadt zu erreichen, da sie vorher auf den Rhein zu abbiegt. Sie überquert den Strom bei Benrath (daher der Name), setzt ihren nach Südosten ausgerichteten Lauf fort, führt südlich an Gummersbach vorbei und erreicht dann die Grenze zu Westfalen. Das rheinländische Dialektgebiet, dessen Nordgrenze die Benrather Linie bildet, wird Ripuarisch genannt. Auf der anderen Seite der Benrather Linie schließen sich das Südniederfränkische mit Möchengladbach, Neuss, Düsseldorf und Solingen sowie das Ostbergische mit Lennep und Gummersbach an. Südniederfränkisch und Ostbergisch gehören zusammen mit dem Kleverländischen zum Niederfränkischen, während Ripuarisch, eben wegen der Benrather Linie, schon den hochdeutschen Mundarten zugerechnet wird.

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Benrather Linie | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0
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Benrather Linie | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

Das k in make oder maken ist der sprachgeschichtlich ältere Laut, er begegnet auch in niederländisch maken und in englisch to make. Der Ersatz des k durch ch ist in die zweite Hälfte des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung zu datieren. Er ist Teil der so genannten Zweiten Lautverschiebung, die im Rheinland das k in zahlreichen Fällen, wenn auch nicht in allen Wörtern und in allen Positionen in gleicher Weise, erfasste. Regelmäßig erhalten blieb das k am Wortanfang. Im Kölner Dialekt entstanden so die Formen Kirch 'Kirche', Köch 'Küche' und mache. Am unteren Niederrhein sind Kerk, Köök und make zu hören. Dass Kirch und Köch in Köln eher wie Kirsch und Kösch klingen, weil hier koronalisiert wird, steht wieder auf einem anderen Blatt.

In die Zusammenhänge der Zweiten Lautverschiebung sind auch die Wechsel von (älterem) p zu f und von (älterem) t zu s bzw. ts (= z) eingebettet. Wenn heute im Rheinland die Gegensätze von Seep und Seef 'Seife' und von jrot und jroß 'groß' zu beobachten sind, gehen sie auf diesen epochalen Lautwandel vor mehr als einem Jahrtausend zurück. Das Ripuarische hat dabei die "verschobenen" Formen – mit Ausnahmen, wie zu ergänzen ist. Am auffälligsten sind unter den Ausnahmen vielleicht die Kleinwörter datwat und et mit ihrem "unverschobenen" t. Selbst im Moselfränkischen, das sich weiter südlich im Rahmen des Rheinischen Fächers an das ripuarische Gebiet anschließt, benutzen die Dialektsprecher und Dialektsprecherinnen diese uralten Varianten. Andere unter der Bezeichnung Zweite Lautverschiebung gefasste Wandelphänome spielen für die Ausdifferenzierung der rheinischen Dialektlandschaft keine Rolle.

Die folgende Beispielliste enthält Lautformen aus zwei Dialekten: Aus dem Platt von Krefeld (nördlich der Benrather Linie, jeweils zuerst genannt) und aus dem Kölschen (südlich der Linie):

altes k 
makemache 'machen', DaakDaach 'Dach', LiekLeïch 'Leiche', KockKoche 'Kuchen'

altes p 
luëpeloufe 'laufen', schloëpeschlofe 'schlafen', PonkPund 'Pfund', AppelAppel 'Apfel'

altes t 
eäteesse 'essen', SchwiëtSchweïß 'Schweiß', HertHetz 'Herz', TongZung 'Zunge'

Wenn die Standardsprache ein pf (entstanden aus altem p) hat, ist im Ripuarischen also ein p wie in den Dialekten nördlich der Benrather Linie zu hören (Pund, Appel usw.).

Georg Wenker beschrieb die Linie 1877 als "Benrather Linie" oder auch als "Benrather Grenze": Damit verwendete er eine Bezeichnung, die bis heute – oft inflationär! – gebraucht wird, wenn sprachliche Unterschiede im Raum thematisiert werden. Manchmal ist nicht nur von "Dialektgrenzen", sondern sogar von "Sprachgrenzen" die Rede, wenn feine, aber kleine Unterschiede zwischen Nachbardialekten gemeint sind. Die Benrather Linie, so wie sie sich uns heute darstellt, ist im Rheinland keine Sprachgrenze, sondern ein Hilfsmittel zur Einteilung und Gliederung der Dialekträume

Im Osten des Rheinlands, etwa zwischen Solingen und der Grenze zu Westfalen, ist ihre trennende – also die Kommunikation behindernde – Wirkung allerdings erheblich. Anders verhält es sich in der Nähe des Rheins. Georg Wenker war als gebürtiger Düsseldorfer mit diesem Umstand vertraut. In seiner Schrift über "Das rheinische Platt" aus dem Jahr 1877 weist er an zwei Stellen darauf hin, so als er über Varianten wie jrot und jroß schreibt (Wenker 1877, S. 9):
"Nur nahe am Rhein gehn die ss und ß noch etwas mehr nach Norden, bis nördlich von Düsseldorf; darüber darf man sich aber gar nicht verwundern, denn am Rhein ist von Alters her ein lebhafter Verkehr gewesen, so daß es sehr natürlich ist, wenn heutzutage am Rhein und nahe daran die Dialecte sich etwas vermengt haben."

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Die Benrather Linie, rot-weiß markiert, trifft im Norden Benraths auf der Höhe der Straße "Schöne Aussicht" auf den Rhein | © Stefan Arendt, aus: Cornelissen 2017, S. 24/25
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Die Benrather Linie, rot-weiß markiert, trifft im Norden Benraths auf der Höhe der Straße "Schöne Aussicht" auf den Rhein | © Stefan Arendt, aus: Cornelissen 2017, S. 24/25

Eine 2017 vorgelegte Studie zur Sprache Düsseldorfs ist diesen Hinweisen nachgegangen (Cornelissen 2017). Dabei zeigten sich im Düsseldorfer Stadtgebiet enorme Differenzen im Bereich der alten p-t-k-Wörter. Auch im Neusser Raum, also nördlich der Linie, kommen auf der anderen Rheinseite zahlreiche Varianten vor.

Im Westen des Rheinlands überquert die Benrather Linie einige Kilometer nördlich von Aachen die Staatsgrenze zum Königreich der Niederlande. Im Osten verlässt die Benrather Linie das Rheinland bei Bergneustadt. Sie trennt dann die westfälischen Dialekte (nördlich der Linie) von den Dialekten des Siegerlandes (Moselfränkisch) und des Wittgensteiner Landes (Rheinfränkisch). Jenseits der nordrhein-westfälischen Landesgrenze verläuft sie in nordöstlicher Richtung quer durch Deutschland. An der polnischen Staatsgrenze endet sie heute. Nördlich der Linie liegen Kassel, Magdeburg und Berlin – wenn es um die alten Dialekte geht. In Berlin ist der eigentliche Dialekt ja schon vor einem Jahrhundert ausgestorben; in der regionalen Umgangssprache der Hauptstadt, im "Berlinischen" unserer Tage, sind ick oder icke nur noch Reliktformen, die an die Zeiten erinnern, als im niederdeutschen Dialekt Berlins in 'machen', 'Dach' oder 'Leiche' ebenfalls noch ein k und in 'essen' und 'Schweiß' noch ein t gesprochen wurde.