(sie) flieg-en/(wir) hab-en

Text

Im Norden und Osten unseres Gebietes verwenden die Mundartsprecher jeweils ein und dieselbe Verbform für die 1., 2. und 3. Person Plural Präsens, die etwa wir/ihr/sie fleegt (zu 'fliegen') oder wir/ihr/sie hebt (zu 'haben') lauten kann. Dagegen weisen die Dialekte im Süden und Westen, analog zum Deutschen, zwei Pluralformen auf; als Beispiel soll der Dialekt von Kleve dienen:

Kleve - Hochdeutsch

wir fliege - fliegen
ihr fliegt - fliegt
sie fliege - fliegen
 

Die Grenze zwischen dem "Einheitsplural" (fleegt) und den gegliederten Pluralformen (fliege - fliegt - fliege) verläuft diagonal durch das Erhebungsgebiet; nirgends deckt sie sich mit der Staatsgrenze. Die Einheitsplurallinie wurde von der dialektologischen Forschung, sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden, stets als besonders bedeutsam eingestuft, wie dies auch A.R. Hol in ihrem Aufsatz über die Dialekte im Liemers tat: "Als de meest typerende bijzonderheid van onze oostelijke dialecten en ook van die in het aangrenzende Duitse gebiet geldt wel het éne weervoud voor de 1ste, 2de en 3de persoon van de tegenwoordige tijd, dat gevormd wordt door '-(e)t' achter de stam te plaatsen" (Hol 1953, S. 269). Allerdings sei vor einer Verabsolutierung der Einheitspluralgrenze, etwa als Trennlinie zwischen 'niederfränkischen' und 'nedersaksisch- westfälischen' Dialekten gewarnt.

Die Auswertung für beide abgefragte Formen (wir habensie fliegen) führte zu demselben Kartenbild. Der Einheitsplural ist danach in den Dialekten nordöstlich von Bronkhorst - Hengelo - Dinxperlo - Werth - Wertherbruch - Dingden - Brünen - Schermbeck zu finden (die genannten Orte eingeschlossen). Diese Linie umspielt die Issel/Oude IJssel.

Bild
(sie) fliegen/(wir) haben | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0
Bildunterschrift
(sie) fliegen/(wir) haben | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

(wir) haben

Als Hauptform erweist sich im Achterhoek und im Westmünsterland hebt. Daneben tauchen wiederholt Belege für apokopiertes -t auf (heb); eine zweisilbige Form (hebbet) wird nur einmal notiert (für Winterswijk). Für zwei deutsche Orte (Raesfeld und Schermbeck) wurden die Varianten hebt/heft festgehalten. Südwestlich der Einheitsplurallinie dominieren die Formen hebbe(n) (oder hebm) und hemme(n). Am Niederrhein wird als dritte Variante hevve aufgeführt

(sie) fliegen

Als Hauptformen sind fliege(n) im Südwesten und fleegt im Nordosten hervorzuheben (in den niederländischen Dialekten wohl vliege(n) und vleegt). Zweisilbige Formen (fleget) werden für zahlreiche Ortsmundarten im Westmünsterland genannt. Dort, wo beide Flexionssysteme aufeinanderstoßen, in der Issel/Oude IJssel-Zone also, verbinden sich Stammvokal und Wortendung auch nach dem 'falschen' Muster, z.B. vliegt (Dinxperlo), flegen (Anholt). Der münsterländische Diphthong (flaigt) ist (z. T. neben fleegt) für Alstätte, Schöppingen, Legden und Groß Reken zu verbuchen.