ge-worden

Text

geworre – ewodde – ewoddene – wodden: vier Areale

Die geworden-Karte verzeichnet vier Symbole; drei davon sind bereits von der gehört-Karte her bekannt, sie zeigen dieselben Präfixe (ge-, e-, Ø) an. Innerhalb der Ortsmundarten mit e-Präfix sind nun jedoch zwei Gruppen zu unterschieden. Im Einzelnen lassen sich folgende Bildungsmuster erkennen:

  • Präfix ge-, z. B. geworre oder gewodden;
  • Präfix e-, z. B. ewodden;
  • Präfix e- + Zusatzsuffix -e, z. B. ewoddene;
  • präfixlose Formen, z. B. worden/wodden/won.

Das fehlende e-Präfix auf der deutschen Seite der Grenze 

Beim Vergleich der Karten gehört und geworden fällt nicht nur die unterschiedliche Symbolzahl ins Auge. Bemerkenswert ist ferner, dass das e-Präfix, das auf der gehört-Karte auch für vier deutsche Orte verbucht wird (nämlich für Bocholt, Dingden, Raesfeld und Erle), nun auf die Niederlande beschränkt ist; seine Position ist dort stärker als auf der deutschen Seite der Grenze, wie auch die Befunde älterer Untersuchungen zeigen. 

Die Karte 28 des Deutschen Sprachatlas (ge-brochen) verzeichnet ein kleines keilförmiges e-Gebiet um Bocholt, das in etwa mit den Angaben der gehört-Karte übereinstimmt. Materialgrundlage dieser älteren Karte sind die aus den 1880er-Jahren stammenden Erhebungen Wenkers. Auf Herdemanns präziser Karte von 1921 für das Partizip gegeben nahm die e-Form einen sehr viel größeren Raum im Westmünsterland ein (Herdemann 1921, Karte 72), danach war dieses Präfix auch in Südlohn, Burlo und Gemen gebräuchlich. Auch für zwei grenznahe Orte im Norden des Westmünsterlandes, darunter Ammeloe, wird es verbucht. Geht man von einem solchen Verbreitungsgebiet aus, dann hat die präfixlose Form bis heute sehr stark auf Kosten des e-Präfixes hinzugewonnen; auf unseren Fragebogen wurden für die genannten Orte jedenfalls stets Partizipien ohne Vorsilbe notiert. In seinem ebenfalls zu Beginn der zwanziger Jahre erschienenen Aufsatz über die "Bocholter Mundart" skizziert Julius Francke, gestützt auf Beobachtungen bei einem Mundartdichter, genau diese Entwicklung für Ramsdorf, das zwischen Gemen und Velen liegt (s. Francke 1922, S. 261f.).

Es ist bemerkenswert, dass in vier Orten, für die in unserer Erhebung ehört (mit e-) gemeldet wurde, stets gleichzeitig worden/wodden/won (ohne e-) zu verbuchen ist; für einen davon, Raesfeld, wird übrigens ehört neben hört angezeigt. Die geworden-Karte weist nun auf einen weiteren Abbau dieses e-Präfixes hin, dessen Verbreitungsgebiet auf deutscher Seite sowieso schon recht klein geworden ist. Ob sich der Präfixverlust im Falle von geworden nur wortgebunden vollzieht oder ob, wie die Varianten in Raesfeld andeuten, davon ein größerer Teil der Verben betroffen ist, lässt sich aufgrund unseres Fragebogenmaterials natürlich noch nicht sagen.

Bild
geworden | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0
Bildunterschrift
geworden | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

Das Suffix e- im östlichen Achterhoek: ewoddene

Die geworden-Karte lässt innerhalb des Achterhoek (mit seinem Präfix e-) Formen mit und ohne zusätzliches Suffix (e-) erkennen. Dieses Suffix, das bei 'starken' Verben an den Wortausgang angefügt werden kann, ist heute auf einen Streifen im Osten des Achterhoek beschränkt (ewordene/ewoddene/ewonne); es war füher über dieses Gebiet hinaus, so auch in Enschede (nordöstlich von Haaksbergen), bekannt (vgl. Bezoen 1938, S. 44f.).

Die Verwendung des Suffixes nimmt heute weiter ab. So konnte schon Wanink 1948 beobachten, dass in Ortsmundarten zwischen Lochem und Haaksbergen nur noch wenige starke Verben das Partizip auf e- kannten (Wanink 1948, S. 15). Für Bredevoort, gelegen zwischen Lichtenvoorde und der Staatsgrenze, liegen sehr detaillierte Beobachtungen aus jüngster Zeit vor. Danach wird besonders unter jungen Sprechern, neben den mit den Angaben unserer Gewährsleute übereinstimmenden Formen wie edoone ('getan') oder edronkene ('getrunken'), heute suffixlose Varianten (edoon, edronken) und – allerdings nur sehr selten – auch Formen mit dem Präfix ge- zu finden, die dann in der Regel kein Zusatzsuffix aufzuweisen haben (gedoon, gedronken) und so mit dem Bildungsmuster des Standadniederländischen (und auch des Standarddeutschen) übereinstimmen (niederländisch gedaan, gedronken). Gerritsen, der diese Beobachtung gemacht hat, leitet davon die Folgerung ab, "dass bei einem Wandel der Formen des Partizip Perfekt zunächst das auslautende –e abfällt und dass danach das Präfix e- durch ge- ersetzt wird." (Gerritsen 1991, S. 116). Damit deutet sich hier eine Entwicklung an, wie sie sich analog in einigen westmünsterländischen Mundarten bereits vollzogen hat (s. u.), nur dass sich die jeweiligen Zielformen hinsichtlich des Präfixes (dronken, woddengedronken, gewodden) unterscheiden.

Das Suffix –e im Westmjünsterland: kein Beleg

Die bereits geannte Karte Herdemanns für 'gegeben' verzeichnet für zwei kleine Grenzstreifen mit insgesamt nur einigen wenigen Orten im westlichen Münsterland Formen mit dem zusätzlichen Suffix –e; dieses war auch bei weiteren starken Verben zu finden (Herdemann 1921, S. 221 und Karte 72). Da in den betreffenden Orten auch stets das Präfix e- verwendet wurde, galt hier also das Bildungsmuster e-…-e für das Partizip Perfekt (starker) Verben – dasselbe Bildungsmuster, das im benachbarten Achterhoek noch heute anzutreffen ist (s. o).

Drei dieser grenznahen Orte sind auch auf der geworden-Karte zu finden, für alle drei wird heute die präfix- und suffixlose Form gemeldet. Der Suffixschwund war übrigens bereits zu Herdemanns Zeiten im Gange, fügt er doch einschränkend hinzu, das –e werde in Ammeloe immerhin noch "oft" verwendet, während der Gebrauch in Südlohn und Burlo bereits "schwankend" sei (Herdemann 1921: Karte 72).

Schluss: 'gehört' und 'geworden'

Die Karten für das Partizip Perfekt lassen hinsichtlich des heute verwendeten Präfixes eine Dreiteilung des Gebiets erkennen. Die kleverländische Form (ge-) wird auf beiden Seiten der Grenze standardsprachlich gestützt. Zwischen dem Achterhoek (e-) und dem Westmünsterland (Ø) bildet die Staatsgrenze heute bereits auf weite Strecken eine 'Bruchstelle'.

Das zusätzliche Suffix –e bei starken Verben ist heute exklusiv niederländisch, die Form reicht über die Staatsgrenze nicht (mehr) hinaus. Die heutige Verbreitung dieses Suffixes in unmittelbarer Grenznähe wie auch dessen Kleinstadtareale zu Jahrhundertbeginn auf der deutschen Seite lassen sich als Beispiele für jene 'Relikt-' oder 'Rückzugsgebiete' werten, die in der Dialektgeographie häufig zu beobachten sind.

Die nur kleinräumig verbreiteten Phänomene (das Präfix e- im deutschen Teil des Gebietes, das Zusatzsuffix –e auf niederländischer Seite der Grenze) werden innerhalb eines jeden der beiden Staaten durch die Formen mit großen Arealen ersetzt.