Form des Gebildbrotes am Palmsonntag

Text

"Palm – Palm – Paosken,
Laot den Kuckkuck raosken,
Laot de Vöggelkes singen…"

In zahlreichen Orten des Untersuchungsgebiets wurde – und wird auch heute noch – der Palmstock mit einem Gebildbrot verziert (Sauermann 1986, S. 4f.; Sauermann 1983/85, Bd. 1, S. 68-84). Oft bildet es den "krönenden Abschluß"; zuweilen kommen mehrere Formen vor, die gelegentlich einem anderen Hauptschmuck (Apfel, Apfelsine) untergeordnet sind.

Die verbreitetste Form in allen Teilen des Untersuchungsgebietes ist die eines Vogels. Hinter dieser Gestalt wird ein vorchristliches Fruchtbarkeitssymbol vermutet; der Vogel, insbesondere der Hahn, weckt durch seinen Ruf frühmorgens die Sonne, die die Äcker mit ihren wärmenden Strahlen fruchtbar macht (van der Graft 1958, S. 183). Denkbar wäre darüber hinaus ein – wenn auch sekundärer – Anschluß an die Gestalt des Hahns in der Passionsgeschichte (Matthäus 26, S. 69-75). 

Bild
Form des Gebildbrotes am Palmsonntag | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0
Bildunterschrift
Form des Gebildbrotes am Palmsonntag | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

Die zweithäufigst genannte Form war die einer mit Zucker bestrichenen Brezel, eines Kranzes oder Rings. Auch hier liegt möglicherweise ein Hinweis auf vorchristliches Brauchtum zugrunde. Demnach stellt das Gebilde ein Sonnenrad, genauer gesagt die Bewegung der Sonne dar, die vom 21. März an, um Ostern also, das Ende des Winters und den Beginn des Frühlings verkündet (van der Graft 1958, S. 183). Wohl eindeutig ein jüdisch-christliches Symbol ist die Brotform, die nur einmal gemeldet wurde und als "sonstiges" für die westmünsterländische Gemeinde Südlohn belegt ist, ein "Schäöpken", das an das Pessachlamm im Alten und an das Opfer Jesu im Neuen Testament erinnert (Exodus 12, 1-10; Johannes 1, 29).

Unsere Karte zeigt die weite und zugleich einheitliche Verbreitung der Vogelform. Auffällig sind dabei einmal die Variabilität im Westmünsterland, vor allem verglichen mit der Homogenität des niederrheinischen Raumes, aber auch das Fehlen irgendwelcher Angaben für den östlichen Teil des Kreises Borken (Schöppingen, Wüllen, Legden, Hochmoor, Velen und Gemen). Die Vielfalt der Palmstockformen und des dazugehörigen Brotschmucks gerade im Westmünsterland wurde schon mehrfach von volkskundlicher Seite hervorgehoben (Sauermann 1983/85, Bd. 1, S. 72), die Herkunft der Gebildbrote selber in den Niederlanden gesucht (Sauermann 1986, S. 5). Beides wird von unserem Kartenbild bestätigt.