Varianten von Redewendungen

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Heißt es nun den Mund, die Schnauze oder die Fresse halten? Und sagt man eher Es gießt wie aus Eimern oder Es gießt wie mit Eimern?

Fragen wie diese zeigen auf, wie variantenreich Redewendungen sein können – es handelt sich nur scheinbar um feste Verbindungen, die in einer Sprachgemeinschaft bekannt sind; häufig sind gerade im mündlichen Sprachgebrauch zahlreiche Varianten geläufig. Das zeigt sich auch bei einer Erhebung des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte (ILR) zum Thema Redewendungen. Die Gewährspersonen sollten dabei angeben, ob sie bestimmte Redewendungen kennen und Varianten zu diesen nennen.
 

Lexikalische Variation: Pannas am Christbaum

Insgesamt lassen sich bei der ILR-Erhebung bestimmte Variationsmuster feststellen: Zum einen variieren die Antworten der Gewährspersonen auf lexikalischer Ebene, das heißt einzelne Wörter (teilweise auch mehrere) der Wendung werden durch andere ausgetauscht, die Bedeutung bleibt dabei erhalten. Dies wird etwa bei Pannas am Klappmast 'Androhung von Sanktionen und Strafe' deutlich: Die Gewährspersonen behielten die Struktur der Wendung bei und tauschten nur den letzten Bestandteil aus – so nannten sie als Varianten etwa Pannas am Schwenkmast, Pannas am Christbaum, Pannas am Schlappmast, Pannas am Hängmast, Pannas am Fahnenmast oder Pannas am Schwenkarm. Dabei wurden vor allem Wörter als Varianten gewählt, bei denen die Bildlichkeit der Wendung erhalten bleibt. Pannas meint in diesen Wendungen also nicht die mit Buchweizenmehl eingedickte Blut- und Wurstbrühe am Schlachttag, sondern wird im Ruhrgebiet in der Verbindung mit Christbaum, Klappmast oder Schwenkmast als Androhung von Sanktionen und Strafe verwendet, es entsteht also eine übertragene Bedeutung, die mit der ursprünglichen nichts zu tun hat.

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Ob hier irgendwo der Pannas zu finden ist? | © Gantas Vaičiulėnas, Pexels Lizenz
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Ob hier irgendwo der Pannas zu finden ist? | © Gantas Vaičiulėnas, Pexels Lizenz

Bei der Wendung einen vor die Mappe hauen variierten Gewährspersonen vor allem beim Verb; so gibt es hier Belege für einen auf die Mappe knallen oder einen auf die Mappe geben. Die Verben beschreiben zwar jeweils eine ähnliche Handlung, unterscheiden sich aber stilistisch – so ist knallen ebenso wie hauen umgangssprachlich markiert, geben hingegen nicht. Auch die Wahl für die Bezeichnung des Körperteils, der gehauen wird, variiert bei den Angaben der Gewährspersonen stilistisch: Während einige wie in der Vorgabe Mappe verwendeten, nannten andere auch Fresse, dessen Gebrauch als derb eingestuft werden kann.

Auch regiolektale Markierung ist durchaus sowohl bei Nomen als auch Verben üblich, das heißt, die Gewährspersonen ersetzen Begriffe der regionalen Alltagssprache (und der Standardsprache) durch andere regionalsprachlich markierte Ausdrücke.

Statt einen vor die Mappe hauen meldeten Gewährspersonen auch die alltagssprachlich verankerten Bezeichnungen Schnute 'Mund' oder Omme 'Kopf'. Beide Bezeichnungen greifen das Bild der vorgegebenen Wendung auf, ersetzen aber jeweils das Nomen durch ein regiolektales Wort.

Ähnliches gilt für Ratsch im Kappes. Während Ratsch bereits ein Ausdruck der regionalen Alltagssprache im Rheinland ist, finden sich in den Varianten der Gewährspersonen Nennungen wie Blötsch im Kappes haben oder Dötsch im Kappes haben, die ebenfalls regiolektal gekennzeichnet sind. Auch bei Verben geben die Gewährspersonen Varianten an, die typisch für die rheinische Alltagssprache sind: So finden sich bei der Wendung einem wat anne Backe labern auch Belege für einem wat anne Backe quatschen.

Ein Austausch einzelner Bestandteile einer Redewendung führt so meist zu Veränderungen der Bedeutung oder des Stiles.

Grammatische Variation: am Rädchen drehen

Insgesamt gaben die Gewährspersonen bei der ILR-Erhebung vor allem Varianten auf lexikalischer Ebene an. Allerdings finden sich auch Belege grammatischer Variation in den Antworten: Dabei unterscheiden die Gewährspersonen etwa zwischen Einzahl und Mehrzahl. Als Variante zur Wendung einen vor die Mappe hauen wurde einen vor die Mappen hauen genannt. Auch bei der Wahl des Artikels scheinen sich zumindest bei den Molli machen bzw. die Molli machen Varianten zu zeigen.

Deutlich wird außerdem, dass Wendungen, in denen Präpositionen vorkommen, anfällig für Variation sind. Während die vorgegebene Wendung einen vor die Mappe hauen lautet, nannten Gewährspersonen auch einen in die Mappe hauen oder einen auf die Mappe hauen. Gleiches gilt für einen Ratsch am Kappes haben; bei einigen Gewährspersonen lauteten Varianten so: einen Ratsch im Kappes haben oder de hätt ene an de Kappes. Interessant sind ebenfalls Belege, in denen die Verkleinerungsform (Diminutiv) als Variante angegeben wurde: am Rädchen drehen, einen vors Mäppchen hauen oder Da kriesse echt dat aerm Dierken.

Variationen wie der Wechsel von Ein- zu Mehrzahl oder der Gebrauch des Diminutivs verändern zumeist nicht die Bedeutung der Redewendung. Sie bleiben aber auf einzelne Wendungen beschränkt und sind nicht beliebig verwendbar. 

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am Rädchen drehen | © Pexels Lizenz
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am Rädchen drehen | © Pexels Lizenz

Erweiterungen: am großen Rad drehen

Deutlich seltener als lexikalische oder grammatische Varianten lassen sich erweiterte Formen der vorgegebenen Redewendungen bei den Varianten finden. Teilweise nannten Gewährspersonen Varianten, die mithilfe eines Adjektivs oder Adverbs erweitert wurden (den dicken Molli machen, mit vollen Schmackes, dreht am großen Rad, ordentlich wat anne Füße haben, voll am Rad drehen), manchmal ergänzten sie den ersten oder zweiten Bestandteil eines Wortpaares (sich krumm und schief lachen). Selten finden sich hingegen Varianten, in denen die Reihenfolge der Bestandteile variiert (sich schief und krumm lachen) oder es sich um eine Konkretisierung eines Pronomens (Geld an den Füßen haben, Asche anne Füße haben, Moos anne Füße haben statt wat anne Füße haben) handelt.