Neutrale Frauenrufnamen

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Wie in der regionalen Alltagssprache des gesamten deutschen Sprachgebiets südlich der Benrather Linie, werden auch im ripuarischen Teil des Rheinlandes und zunehmend auch am Niederrhein, vor Rufnamen Artikel verwendet, es heißt als hier der Jupp oder die Marie. Dazu kommt eine weitere Eigenheit: In Bergheim, Bornheim oder Bonn wird, insbesondere bei älteren Sprecher:innen, die Marie häufig zu dat Marie oder zu et Marie. Es wird also anstelle des weiblichen Artikels die der sächliche Artikel das bzw. dessen abgeschwächte Form et verwendet. So erzählt ein Sprecher aus Gey (Ortsteil von Hürtgenwald im Kreis Düren) in einem Bericht über seinen ersten Schultag: Isch kräsch en neu Scholetäisch us Pappedeckel. En Laietafel (Schiefertafel), an dä en Koat (Kordel) met Schwämmsche on Läppsche heng, hot de Mam och irjendwo opjedrieve. Dat Welemse Triensche hot us enem Kleedrok von der Tant Drök en Schlaadebots (Klapphose) für mich zesammejebrosch (zusammengebastelt, zusammengeschneidert). Auch weibliche Tiere sind von dieser Regel nicht ausgenommen, so berichtet ein Sprecher aus Horrem (Stadtteil von Kerpen, Rhein-Erft-Kreis) über eine Hochzeit: De Kösch wo verjrößert wurde, endäm der Soustall ömjebout wurde woar, un do brasselten (arbeiteten) jetz die Fraulök. Die letzte Sou, et Äma, hat dran jlööve mösse un ooch dat Schoof Lotsche.
 
Damit steht das Ripuarische nicht alleine dar, auch in den angrenzenden Sprachräumen Hessisch, Mosel- und Rheinfränkisch und entlang des Rheins bis in die Schweiz weisen die Dialekte diese Variante auf. Die Verteilung in der regionalen Umgangssprache im gesamten deutschen Sprachgebiet zeigt diese Karte des Atlas zur deutschen Alltagssprache. Näher untersucht wird diese Besonderheit aktuell in einem trinationalen Forschungsprojekt: Dat Anna und ihr Hund.

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die/dat Maria | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0
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die/dat Maria | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

Auf Menschen aus anderen Gegenden Deutschlands kann diese Eigenschaft ganz anders wirken als beabsichtigt, wie aus dem Eintrag eines Internetforums deutlich wird: "Das geht ja mal gar nicht! Ich empfände es als überaus erniedrigend, wenn mich jemand als 'das' bezeichnete." Dies ist natürlich von den Sprecher:innen überhaupt nicht beabsichtigt – im Gegenteil: Untersuchungen zeigen, dass der Artikel das/dat bzw. et/es insbesondere in Gesprächen über bzw. mit vertrauten weiblichen Verwandten und Freundinnen verwendet wird!

Wie viele Dialektmerkmale scheint aber auch der Gebrauch des neutralen Artikels vor Frauenrufnamen aktuell im Abbau zu sein, hier setzt sich im Regiolekt zunehmend die weibliche Form, die mit dem natürlichen Geschlecht der bezeichneten Person übereinstimmt, durch.