"einen Ratsch am Kappes haben"

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Die Sprachkarte zeigt die Verbreitung der Bekanntheit und der Verwendung der Redewendung einen Ratsch am Kappes haben (oder auch im Kappes haben) (Bedeutung: 'nicht ganz bei Trost sein, verrückt sein') in den Landkreisen des Rheinlandes und des Ruhrgebiets: Der hat doch nen Ratsch im Kappes!

Die auf der Karte dargestellten Ergebnisse stammen aus einer Online-Befragung, die auf der Homepage des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte im Sommer 2019 durchgeführt wurde. In dieser Umfrage gaben zahlreiche Menschen an Rhein und Ruhr Auskunft darüber, ob sie die Redewendung "kennen und verwenden", "kennen, aber nicht verwenden" oder "nicht kennen". Wie anhand der Verteilung der unterschiedlichen Farben in den Kreissymbolen zu erkennen ist, liegt diesbezüglich ein deutlicher Nord-Süd-Unterschied vor: Im zentralen Rheinland rund um Aachen, Köln und Bonn (d. h. im ripuarischen Sprachraum südlich der Benrather Linie) ist die Redewendung nahezu allen Fragebogenbearbeiter:innen bekannt und die meisten geben auch an, sie aktiv zu verwenden. Ein deutlicher Unterschied im Antwortverhalten je nach Alter, wie er bei der Redewendung den Molli (mit jmd.) machen ersichtlich ist, zeigt sich in dieser Region nicht: Auch junge Leute im zentralen Rheinland kennen und verwenden die Wendung oft, wenn auch nicht ganz so häufig wie ihre Eltern und Großeltern.

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"einen Ratsch am Kappes haben" | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0
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"einen Ratsch am Kappes haben" | © LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, CC BY 4.0

Am südlichen Niederrhein, im südniederfränkischen Dialektgebiet zwischen Benrather und Uerdinger Linie, nimmt die aktive Verwendung, aber auch die Bekanntheit des Ausspruches einen Ratsch am Kappes haben ab. Hier wird dann auch ein Zusammenhang zwischen Alter und Verwendung ersichtlich: Umso jünger die Sprecher:innen, umso häufiger verwenden sie die Redewendung nicht selbst, sondern kennen sie nur (vermutlich von ihren älteren Verwandten).

Am nördlichen Niederrhein (im Kleverländischen oberhalb der Uerdinger Linie) und im Ruhrgebiet ist die Wendung noch weniger verbreitet und auch hier zeigen sich altersbedingte Unterschiede zwischen den Befragten. Nur wenige der jüngsten Teilnehmenden (ab 1988 geboren) in diesen beiden Regionen kennen den Ratsch am Kappes, aktiv genutzt wird die Redewendung von ihnen gar nicht.

Doch woher kommt die Wendung einen Ratsch am Kappes haben eigentlich? Betrachten wir zuerst ihre einzelnen Teile näher. Ratsch ist im Duden für das Hochdeutsche verzeichnet als "Geräusch, das bei einer schnellen, reißenden Bewegung, z. B. beim Zerreißen von Papier, Stoff, entsteht" (Duden 2015, S. 1423), in den Dialekten und Regiolekten des Rheinlandes bezeichnet es auch das Ergebnis des Geräusches: einen Riss in der Kleidung oder auch eine Schramme oder Wunde (RhWb, Bd. 7, Sp. 139). Kappes ist ein beliebtes Wort der rheinischen Umgangssprache, das ebenfalls aus den Mundarten stammt. Ursprünglich bezeichnet es den Kohl und das daraus hergestellte Sauerkraut. Seit dem 19. Jahrhundert wird es auch als Synonym für 'Unsinn' verwendet, angelehnt an das rotwelsche Wort Kohl 'Unsinn, Scherz, sinnloses Gerede' (Honnen 2018, S. 225). Unserer Redewendung liegt allerdings eine dritte Bedeutung zugrunde, die noch erstaunlich nah an dem Ursprung des rheinischen Kappes 'Kohl' liegt: lateinisch caput 'Haupt, Kopf'. Der Ratsch am Kappes ist also ein 'Riss im Kopf' und gibt damit ein Bild wieder, dass sich auch in der allgemeinen deutschen Umgangssprache und in vielen weiteren Sprachen findet: einen Riss in der Birne haben, einen Sprung in der Schüssel haben, jiddisch Ich darf es vi a loch in kop und englisch to need something as one needs a hole in the head ('etw. so dringend brauchen wie ein Loch im Kopf') (Honnen 2012, S. 184). Diese weite Verbreitung von Redewendungen mit dem gleichen Motiv spricht auch dagegen, eine verbreitete Entstehungslegende aus dem Rheinland als tatsächlichen Ursprung anzunehmen. Denn hier erzählt man sich, dass die Wiege der Wendung in Siegburg stand, genauer gesagt in der Siegburger Irrenanstalt um das Jahr 1870. Denn hier behandelte der Arzt Carl Pelman Patient:innen mit bestimmten psychischen Erkrankungen auf eine aus heutiger Sicht äußerst gruselige Art und Weise: Die Schädeldecke dieser Menschen wurde an einer Stelle geöffnet und der Riss über längere Zeit mit einer stark quecksilberhaltigen Salbe behandelt. Das sichtbare Ergebnis dieser Methode wurde von den Einwohnern der Umgebung als Ratsch im Kappes bezeichnet. Mehr zu den Legenden rund um die Redewendung erzählt Peter Honnen in Folge 18 "Fiese Möpp und schöne Leiche – Wendungen rheinischer Alltagssprache" seines Podcasts "So geht Rheinisch".