Geschichte der Familiennamen im Rheinland

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Aus heutiger Sicht ist es kaum vorstellbar, aber: Unsere Familiennamen, die heute fester Bestandteil eines jeden Personennamens sind, gibt es in dieser Form erst seit einigen hundert Jahren.

Bis zum 12. Jahrhundert herrschte im Rheinland, wie auch im restlichen deutschen Sprachraum, Einnamigkeit vor. Das heißt, jede Person trug einen Namen. Deutlich wird dies an einer Kölner Handschrift aus dem 9. Jahrhundert. Hier sind neben lateinischen Fürbitten die Namen derjenigen vermerkt, die in das Gebet miteingeschlossen werden sollten, sie lauten beispielsweise Sigolf, Gerolt oder Alflint (Bergmann 1964, S. 167).

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Familiennamen im Rheinland | © roternagellack, CC BY-NC 2.0
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Familiennamen im Rheinland | © roternagellack, CC BY-NC 2.0

Insbesondere in den größeren Städten im Süden und Westen des deutschen Sprachgebiets, so zum Beispiel in Köln, stellte sich dieses System allerdings zunehmen als unzureichend dar: Zu häufig war nur durch Nennung eines Namens nicht eindeutig, welche Person gemeint war. Diese Erfahrung wurde durch verschiedene Veränderungen, die im Hochmittelalter abliefen, bedingt und verstärkt. So nahm in dieser Zeit insgesamt die Bevölkerung zu und immer mehr Menschen zogen in die (neu entstehenden) Städte, so dass dort zunehmend viele Menschen auf engem Raum lebten. Auch nahm die Mobilität vieler Handwerker und Händler zu, so dass immer häufiger Menschen aus verschiedenen Regionen aufeinandertrafen. Ein weiterer Grund war die zunehmende Schriftlichkeit. Vor allem in der Verwaltung entstanden zahlreiche neue Textsorten, die das Leben und Sterben in Städten und Gemeinden dokumentierten: Regelung von Erbe, Eigentum, Transkationen, Gerichtsverfahren, Steuern in Texten wie Urkunden, Verzeichnisse, Steuerlisten; auch in der Kirche wurde immer mehr geschrieben, zum Beispiel Tauf-, Trau- und Sterberegister. Gerade in Schriftstücken war es besonders wichtig, dass eindeutig klar wurde, von welchen Personen die Rede ist, denn eine einfache Nachfrage wie im persönlichen Gespräch war hier nicht möglich. Weitere Gründe waren das Bedürfnis nach Anzeige familiärer Zugehörigkeit (z. B. relevant bei Erbansprüchen) und das große Prestige des Adels. Hier waren Namenzusätze, die beispielweise den Wohnort angaben, zuerst üblich, was bald von anderen Bevölkerungsschichten nachgeahmt wurde. Aber auch die Namengebung selbst begünstigte die Entwicklung eines zusätzlichen Namens. Ab dem 12. Jahrhundert wurde die Vergabe von biblischen Vornamen wie Johannes, Christina oder Severin immer beliebter. Daneben nahm in vielen Familien die Nachbenennung beispielsweise nach Paten zu; diese beiden Umstände führen dazu, dass der Rufnamenbestand kleiner wurde, es teilten sich also mehr Personen weniger RufN (vgl. Nübling 1997, S. 142–145).

Von der Einnamigkeit zur Zweinamigkeit

Aus all den genannten Gründen wurde es ab dem 13. Jahrhundert in vielen Gegenden des Rheinlandes (und auch im weiteren deutschen Sprachraum) üblich, den Rufnamen um einen Beinamen (BeiN) zu ergänzen. Bei diesen BeiN handelt es sich um eine Zwischenstufe auf dem Weg zu unseren heutigen Familiennamen. Einen BeiN bekam einer Person nicht bereits bei der Geburt, sondern er entstand im Laufe des Lebens, passend zu seinem/seiner Träger:in. Das heißt, die BeiN referierten immer auf eine Eigenschaft der benannten Person, beispielsweise auf ihren Beruf, Wohn-/Herkunftsort oder auf bestimmte (körperliche) Merkmale. Aus dem Bonner Raum sind beispielsweise folgende BeiN überliefert: Henrich der assinmecher van bunne (1346, Asse(n)mecher ist eine rheinische Berufsbezeichnung für einen Stellmacher, zu mnd. assemaker 'Achsenmacher'), Lisbethenn vonn Aldenroidt (1560, entweder nach dem OrtsN Altenrath bei Siegburg, Wüstung Altenrode bei Heisterbacherrott oder Altenrath b. Gummersbach), Arnoldus Beirbroit (1460, zu mittelniederdeutsch bêrbrôt 'Bier mit Brot oder Brot in Bier; Biersuppe'; BeiN für einen Liebhaber dieser Speise) (vgl. Bickel 1978). Strukturell waren Ruf- und BeiN häufig mit einem Bindeglied, beispielsweise einer Präposition verbunden: Herman van Brenigh (1360, Brenig nw. von Bonn), Johanne de Brilon (1596, Brilon sw. von Paderborn), Tonnis von Emmerich (1586, Emmerich am Niederrhein) (vgl. Bickel 1978).

Der BeiN einer Person konnte im Laufe des Lebens wechseln und er war immer individuell: Er wurde nicht an Kinder vererbt, Geschwister trugen unterschiedliche BeiN (vgl. Marynissen/Nübling 2010, S. 315). Dennoch konnten natürlich mehrere Personen den gleichen BeiN haben, bedingt durch den gleichen Beruf o.ä. Die Verbreitung und Relevanz der BeiN war allerdings räumlich unterschiedlich: So war in Köln im 13. Jahrhundert das Tragen eines BeiN schon die Regel, im kleineren Neuss hingegen trugen zu der Zeit nur wenige Menschen einen BeiN. Diese unterschiedlichen Entwicklungen können heute anhand von Urkunden nachvollzogen werden (vgl. Kunze 2004, S. 61).

Insgesamt können fünf Benennungsmotive unterschieden werden, die den BeiN (und damit später den FamN) zugrunde liegen (bei den Beispielen handelt es sich um aktuelle rheinische FamN) (vgl. Nübling et al. 2012, S. 149–155):

  • Rufnamen: BeiN, die aus einem zweitem RufN oder aus dem des Vaters (Patronym) oder dem der Mutter (Metronym) entstanden sind: Dahmen, Frings, Peters, Jacobs, Willemsen, Heinrich, Petry, Trienekens 
  • Berufsnamen: Beckers, Faßbender, Küppers, Schmitz; z. T. im Nordwesten mit Artikel De Smit  
  • Wohnstättennamen: Bruckmann, Stratmann, In der Schmitten, Siepmann; am Niederrhein häufig in ganzen Präpositionalphrasen (Präp.+Art.+Subst.): Intveen, Ingensiepen, Ter-/Verlinden, Angendendt  
  • Übernamen: nach einer Eigenschaft oder einem körperlichen Merkmal der benannten Person: Langen (der 'Lange'), Voss ('Fuchs' = der 'Rothaarige') 
  • Herkunftsname: van Gogh, Kempener, Geldermann, Cöllen (Vorfahren der heutigen Benannten stammten aus Goch, Kempen, Geldern/Gelderland oder Köln).

Die Gruppen entwickelten sich in zeitlicher, räumlicher und soziologischer Hinsicht sehr unterschiedlich. So waren in Bonn zwischen 1200 und 1600 die meisten BeiN HerkunftsN, seltener waren hier Patronymika und WohnstättenN. Dahingegen waren etwa in Plauen im Vogtland HerkunftsN selten, hier überwogen deutlich die ÜberN (vgl. Kunze 2004, S. 64). Grundsätzlich waren Patronyme und ÜberN eher auf dem Land und bei sozial niedrigstehenden Personen üblich, HerkunftsN und BerufsN kamen in den Städten häufiger vor – bedingt durch eine größere Mobilität der dortigen Bevölkerung und durch bessere Ausbildungsmöglichkeiten.

Von Beinamen zu festen Familiennamen

Zwischen 1500 und 1600 kam es dann zu einer einschneidenden Entwicklung auf dem Weg von den BeiN zu den FamN: Die BeiN erstarrten zunehmend und wurden erblich. Das heißt, zunehmend erhielt nicht mehr jede Person einen eigenen Namenzusatz, sondern der (ehemaligen) BeiN des Vaters (oder der Mutter) wurde übernommen und wurde der somit zum FamN. Auch dieser Prozess lief nicht überall im deutschen Sprachraum und in jeder Bevölkerungsschicht gleich ab, so wurden die BeiN beim Adel früher fest als bei Bürgern und Bauern, in Städten früher als auf dem Land, im Süden früher als in anderen Regionen und im schriftlichen Gebrauch waren sie üblicher als im mündlichen. Und auch wenn nun die FamN entstanden: Lange Zeit waren diese nicht fest, d.h. eine Familie konnte noch ohne Weiteres ihren Namen ändern (vgl. Marynissen/Nübling 2010, S. 316).

Die Abgrenzung von BeiN und FamN ist in historischen Quellen nicht immer einfach, der Unterschied oft fließend. Doch es gibt einige Merkmale, die einen Anhaltspunkt geben können, ob die Entwicklung zur Erstarrung und Erblichkeit bereits stattgefunden hat. So fällt häufig die Präposition, die RufN und BeiN verbunden hat weg, wenn der Name zum FamN wird. Allerdings werden oft erst eine Zeitlang beide Varianten nebeneinander verwendet. Am Niederrhein bleiben die Präpositionen häufig bis heute bestehen: Angenendt (< An den), Vonderlinden, van Geldern (ebenso in den Niederlanden). Ein weiteres Indiz ist ein Widerspruch zwischen einem Merkmal der benannten Person und dem Namen: Arbeitet Hannes Schmitz als Schreiner, trägt er vermutlich den BerufsN eines Vorfahren als FamN, vor allem wenn sein Geschwister ebenfalls Schmitz heißen.

Aber obwohl die FamN nun üblicher werden, ist lange Zeit der RufN weiterhin der wichtigere Bestandteil. Dies ist beispielsweise daran zu erkennen, dass in alphabethischen Listen nach diesem sortiert wurde.

Zweinamigkeit wird zur Pflicht

Seit dem 17. Jahrhundert nahmen dann behördliche Bestrebungen zu, die Zweinamigkeit verbindlich durchzusetzen, FamN-Wechsel zu unterbinden und eine festgelegte Schreibweise des jeweiligen Namens zu sichern. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden diese Maßnahmen dann endgültig rechtlich festgelegt und eine Pflicht zum Tragen eines unveränderlichen FamN eingeführt. Doch insbesondere in Gegenden, in denen normalerweise der Hofname von einer Familie nach einem Umzug als FamN übernommen wurde, gab es noch lange Zeit Proteste gegen diese Vorschriften. Mit der Einführung der Standesämter 1874 wurde dann auch die Schreibweise eines Namens verbindlich festgelegt. Da in Deutschland allerdings nie (anders als z.B. in den Niederlanden), die Schreibung von FamN an die orthographische Norm angepasst wurde, gibt es bis heute für den gleichen Namen oft zahlreiche Schreibweisen, wie zum Beispiel für den am Niederrhein sehr häufig Namen Jansen: Janssen, Janßen, Janhsen, Janshen, Janzen (Cornelissen 2012). Viele davon sind dialektal bedingt, sie wurden aufgeschrieben, wie sie in der regionalen Sprache der jeweiligen Gegend ausgesprochen wurden: Frings (< Severin, rheinische Velarisierung), Berchem (< Bergheim, Spirantisierung von 'g', Kontraktion von -heim).

Familiennamen heute

Aufgrund dieser behördlichen Regelungen können heute eigentlich keine neuen FamN mehr entstehen, sondern bestehende Namen werden von Generation zu Generation weitervererbt. Zwei Ausnahmen gibt es: Wer aus einem anderen Land nach Deutschland einwandert, darf seinen Namen natürlich behalten und auch an seine Kinder weitergeben. Falls gewünscht, können fremdsprachige FamN in ihrer Lautung und/oder Schreibung auch an die deutsche Sprache angepasst werden, so können dann tatsächlich auch ganz neue Namen entstehen. Von dieser Möglichkeit wurde im 20. Jahrhundert insbesondere im Ruhrgebiet häufig Gebrauch gemacht. Hierhin kamen beispielsweise viele Familien aus (dem heutigen) Polen, die dann ihre Namen (auch bedingt durch gesellschaftlichen Druck) anpassen ließen: Aus Żabczynski wurde Sabczynski, aus Nowicki wurde Nowitzki und aus Pawlowski wurde Paulsen.