Französisch im Rheinland

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Es gehört zum Gemeinwissen im Rheinland, dass die Mundarten und die Umgangssprache erkennbar geprägt sind durch die französische Nachbarsprache. Vor allem die sogenannte Franzosenzeit, also die Herrschaft Napoleons in den Jahren 1794 bis 1814, wird dafür verantwortlich gemacht. Es sind Wörter wie Malör, Lamäng, Bredullje, Feez, Amerasch, blümerant, Plümmo, malad, Kamesol, Paraplü oder Fassong, die in diesem Zusammenhang immer wieder genannt werden.

Und in der Tat ist der französische Lehnwortschatz in den rheinischen Mundarten beträchtlich. Allein der "Neue Kölnische Wortschatz" von Adam Wrede verzeichnet rund fünfhundert Wörter mit französischem Ursprung, und im großen Rheinischen Wörterbuch hat man sogar verblüffende 7000 romanische Lehnwörter gezählt. Hier sind allerdings alle Wörter aus dem romanischen Sprachkreis, also auch lateinische Entlehnungen, zusammengerechnet, denn nicht immer lässt sich klar entscheiden, ob ein lateinisches Wort ein römerzeitliches Erbe, eine mittelalterliche Entlehnung oder über die Vermittlung des Französischen ins Rheinland eingewandert ist. Spielt das Rheinland bei der Vermittlung lateinischer Lehnwörter in die deutsche Sprache eine herausragende Rolle (siehe Römisch im Rheinland) so finden sich französische Einflüsse jedoch in gleicher Zahl auch in anderen Mundarten, so im Pfälzischen, Badischen oder Berlinischen.

Wie ist es dazu gekommen? Zuerst einmal ist festzuhalten: Viele der in den Mundarten ehemals verbreiteten Französismen sind heute kaum noch bekannt, sie sind zum großen Teil schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschwunden. Dazu gehören etwa Perrong 'Bahnsteig', Pavei 'Pflasterstein', Trottewa 'Bürgersteig', Komkommere 'Gurke', Kavalöres 'Liebhaber', Paraplü 'Regenschirm', Schemisett 'Vorhemd', mangschere 'essen', Allewittchen 'rasche Besorgung', Fernüs 'Ofen', Tipo/Dipo 'Gefängnis', Plafumm/Plavong 'Zimmerdecke', Schanditz 'Polizist', kaduck 'gebrechlich', Kaschott 'Gefägnis', kujonieren 'jemanden quälen', Traleje 'Fenstergitter' oder jüstemang 'gerade, sofort'. Die Jüngeren im Rheinland können also kaum noch nachvollziehen, wie stark die Mundarten einmal durch die französischen Lehnwörter geprägt waren und weshalb ältere Mundartsprecher:innen immer wieder – und zu Recht – diesen Einfluss hervorheben.

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'N Kavalöres auf'm Trottewa | © gato-gato-gato, CC BY-NC-ND 2.0
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'N Kavalöres auf'm Trottewa | © gato-gato-gato, CC BY-NC-ND 2.0

Die große Bedeutung des Französischen nicht nur für das Rheinische, sondern für die gesamte deutsche Sprachlandschaft, erklärt sich aus der Geschichte. Jahrhundertelang, seit den Kreuzzügen, war die französische Kultur die Leitkultur in Zentraleuropa. Das galt sowohl für höfische Kreise als auch für die religiösen Reformbewegungen, die sich seit dem 11. Jahrhundert über das gesamte Abendland verbreiteten. Hinzu kommt der Handel, der durch die Kreuzzüge einen bedeutenden Aufschwung nahm und in den berühmten Champagnemessen, die auch von rheinischen Händler:innen besucht wurden, seinen sichtbaren Ausdruck fand. Außerdem war Paris bereits im hohen Mittelalter der beliebteste Studienort für Kölner Studierende, so dass sich das Französische fast zu einer Zweitsprache der gebildeten Kreise in Köln entwickelte.

Die mit Abstand wichtigste Entlehnungsepoche war allerdings die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, als der Absolutismus in Frankreich seinen glanzvollen Höhepunkt erreichte und sich im deutschsprachigen Raum jeder noch so kleine oder unbedeutende Hof am Pariser Vorbild orientierte. Es war die Alamode-Zeit, in der der Alte Fritz besser Französisch als Deutsch sprach, in Berlin, nach einem Bonmot Voltaires, nur noch die Soldaten mit ihren Pferden Deutsch redeten und die Nachbarsprache oder zumindest ein mit Gallizismen durchsetztes Deutsch praktisch die Sprache der höheren Stände war. Es waren also die französisch radebrechenden Gebildeten und Menschen aus den Städten, von denen diejenigen, die auf dem Land lebten und Mundart sprachen, die Wörter aufschnappten, die noch heute in den Dialekten zu hören sind. Und es war eben nicht der direkte Verkehr mit französischen Soldaten oder Verwaltungsbeamten in der Franzosenzeit, der die Sprache im Rheinland oder anderswo beeinflusst hat, noch der direkte Kontakt mit hugenottischen Ausgewanderten, wie ebenfalls oft zu lesen ist. Denn dann müssten die Lehnwörter zumindest partiell den Lautstand der französischen Heimatmundarten der berühmten Glaubensflüchtlinge widerspiegeln. Das tun sie aber nicht.

Schon sehr früh hatte der berühmte Namenforscher Adolf Bach (1964, S. 267) gefragt: "Wie sollen die Mundart-Sprechenden im direkten Verkehr mit Franzosen französische Worte übernehmen, da sie doch nur ihre Muttersprache verstehen? Nach unserem Dafürhalten können von ihnen auf dem Wege des direkten Verkehrs nur solche Worte oder kurze Redewendungen übernommen werden, die in der Regel von einer Geste oder einem Gesichtsausdruck begleitet sind, der unmittelbar auf den Inhalt des Gesagten schließen lässt. Es kämen also hier fast nur Fluchworte, Grussworte, Interjektionen oder Schimpfnamen und Ausdrücke des Dankes (wie merci, grand merci) in Betracht. Die große Mehrzahl der übrigen Worte dagegen stammt nach unserer Überzeugung aus der Umgangssprache der Gebildeten." Das erklärt auch, weshalb in allen deutschen Mundarten der Grundstock der französischen Lehnwörter im Großen und Ganzen derselbe ist: Es handelt sich um "gesunkenes sprachliches Kulturgut", das am Ende einer langen Entlehnungskette schließlich in den Stadtmundarten und den ländlichen Dialekten angekommen war.

Interessanterweise haben diese Französismen dort bis heute überdauert, während sie in der Hochsprache zum großen Teil schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wieder verschwunden sind. Zwar reden wir heute noch von der Cousine, der Mama oder dem Onkel (die alle zur Alamode-Zeit im 18. Jahrhundert entlehnt wurden), aber ehemalige Modewörter wie dusmang 'sachte', tuttswitt 'sofort', Schassewitt 'Seitensprung', Schemisettchen 'Kleid, Vorhemd', alert 'aufgeweckt', Paraplü, Foschett 'Gabel', kapabel 'fähig' oder kujonieren 'quälen' (mit der schönen kölnischen Ableitung Kujoniermatante 'altes Weib, das seine Umgebung quält') sind nur noch in den Mundarten zu hören. Sie haben dort überlebt, weil die Dialekte, anders als das Hochdeutsche, weniger anfällig waren für Sprachmoden. Denn nach der Napoleonzeit hatte der bis dahin frankophile Adel nichts mehr zu kamällen, wie man im Rheinland französierend sagen würde, und das deutsche Bürgertum besann sich auf seine nationalen Tugenden und entdeckte den Erzfeind im Westen. Diese Gesinnung machte den französischen Lehnwörtern im Deutschen schnell den Garaus. Auch in der rheinischen Umgangssprache ist von den Französismen wenig geblieben. Einzig die rheinischen Mundarten haben die ehemals modischen Lehnwörter bewahrt, weshalb sie heute als liebenswerte Exotismen von Mundartliebhaber:innen gehegt und gepflegt werden. Sie gelten nicht, wie die Anglizismen im modernen Deutsch, als Bedrohung, sondern im Gegenteil als geradezu typisch für die regionale Sprache. Weshalb auch immer wieder Mundartwörtern völlig unbegründet ein französischer Ursprung zugeschrieben wird, um sie in diesem Sinne interessant zu machen. Neben den berühmten Wortlegenden um Fisematenten, Fisternöll, Jeck oder Muckefuck findet man solche falschen Ableitungen beispielsweise auch bei Pluute 'alter Kleidungsstücke' (zu französisch pelote 'Haufen'), seibern (zu franösisch saliver 'sabbern'), Möhne (zu französisch la moine 'Mönch'), Klüngel (zu französisch clin d’oeil 'Augenzwinkern'), Labbes (zu französisch labile), bütze 'küssen' (zu französisch baiser 'küssen'), Männeken (zu französisch mannequin), Maue 'Ärmel' (zu französisch manche 'Ärmel') oder Truffel (aus französisch truelle 'Kelle'). Die Menschen im Rheinland scheinen, vielleicht aus nachbarschaftlichen Gefühlen, stolz auf ihre französischen Lehnwörter zu sein, auch wenn sie im Grunde als Relikte militärischer Auseinandersetzungen angesehen werden; warum sollten sie sie sonst erfinden?

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Nicht verwandt: 'mannequin' und 'Männeken' | © Michael, CC BY-NC 2.0
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Nicht verwandt: 'mannequin' und 'Männeken' | © Michael, CC BY-NC 2.0

Dass das Rheinland eine der komplexesten Sprachlandschaften überhaupt ist, zeigt sich im Übrigen auch bei der Wanderung von Lehnwörtern, die keineswegs immer den direkten Weg nehmen. Gerade die Französismen im Rheinischen haben, wie die Vermittlung der höfischen Literatur im Mittelalter auch, sehr oft den Umweg über den niederländischen Sprachraum genommen. Besonders der Niederrhein hat bei dieser Vermittlung eine wichtige Rolle gespielt. Das hat natürlich damit zu tun, dass beide Regionen sprachlich gesehen lange Zeit eine relative Einheit gebildet haben. Auch wenn es nicht immer leicht ist, die Wanderungen von Lehnwörtern exakt nachzuzeichnen (siehe auch das Problem Jiddisch/Rotwelsch), so kann man doch bei einer Reihe von Französismen im Rheinischen den Umweg über das Niederländische belegen. Dazu gehören etwa Klör/Kulör 'Farbe', den Pik auf etwas haben 'auf jemanden zornig sein', Pluse 'Fluse, Faden', Baselun 'alte Jacke', Printe 'Gebäck' oder Beschütt 'Zwieback'. Wahrscheinlich ist auch das umgangssprachliche Buhai/Bohei und sogar unser modernes Tschüss/Tschö als Adjüs aus dem französischen Sprachraum über niederländische Umwege in unsere Alltagssprache gelangt.