Grafschaft

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Im äußersten Süden des ripuarischen Dialektgebiets, dort wo es auf den moselfränkischen Sprachraum trifft, liegt die Gemeinde Grafschaft, in der Alltagssprache der Region meistens als "die Grafschaft" bezeichnet. Sie gehört schon zu Rheinland-Pfalz.

Die Ortsdialekte der 16 zur Gemeinde gehörenden Dörfer sind aufgrund der Grenzlage besonders interessant: Da Dialektgebiete - im Gegensatz zu politischen Gebieten - keine klar definierten Grenzen haben, ergeben sich zwischen ihnen Übergangszonen. Die Dialekte dieser Gegenden weisen dann sowohl Merkmale der einen als auch der anderen Region auf. Dies ist auch in den Mundarten der Grafschaft der Fall. Um in der Dialektologie dennoch Sprachräume voneinander abgrenzen zu können, werden Sprachgrenzen, sogenannte Isoglossen, bestimmt, die in etwa den Verlauf des Grenzbereiches widerspiegeln. 

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Wappen der Gemeinde Grafschaft | © gemeinfrei
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Wappen der Gemeinde Grafschaft | © gemeinfrei

Zwischen dem Ripuarischen und dem Moselfränkischen wird die wichtigste Isoglosse Dorp-Dorf-Linie genannt, sie verläuft von Siegen bis Bad Honnef, überquert dort den Rhein und durchzieht dann die Eifel bis Malmedy. Nördlich von ihr, im Ripuarischen heißt es Dorp, südlich im Moselfränkischen wie im Hochdeutschen Dorf. In den Dörfern der Grafschaft stimmte die Lautung ursprünglich mit dem Ripuarischen überein, so steht auf den Wenkerbögen (Ende des 19. Jahrhunderts) durchgehend Dörp. Heute hingegen zeigt sich eine Beeinflussung durch das Moselfränkischen (und vermutlich auch das Hochdeutsche), so verwenden die Sprecher:innen jetzt meistens Döref.

Beim Wort helfen, in dem sich ebenfalls der Gegensatz ripuarisch p - moselfränkisch f zeigt, sind die Verhältnisse komplizierter. In den meisten Dörfern der Grafschaft heißt es helepe, in den südlichen Orten Bengen, Karweiler und Lantershofen aber helefe. Die gleiche Verteilung zeigt sich bei den Unterschieden, die durch die neuhochdeutsche Diphthongierung bedingt sind. Im Ripuarischen hat sie nicht stattgefunden, dort heißt es Hus und schrieve 'Haus, schreiben'. Im Moselfränkischen und eben auch in Bengen, Karweiler und Lantershofen heißt es dahingegen Hous und schreive.

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Hous 'Haus' auf dem Wenkerbogen aus Lantershofen (1887) und Hus 'Haus' auf dem Wenkerbogen aus Leimersdorf (1887)
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Hous 'Haus' auf dem Wenkerbogen aus Lantershofen (1887) und Hus 'Haus' auf dem Wenkerbogen aus Leimersdorf (1887)

Vereinzelt zeigt sich in der Grafschaft eine typische Eigenheit des Zentralripuarischen: die rheinische Velarisierung. So bezeichnet man die Aussprache der Konsonanten d, n, nd, nt am Wortende als g, k, ng, nk: Enk 'Ende', Weng 'Wein', Zik 'Zeit'. In der Grafschaft tritt dieses Phänomen nur bei einigen Wörtern auf, wie beispielsweise brong 'braun', schnege 'schneiden' und hök 'heute'. Bei einigen Wörtern existieren zwei Formen: Hengesch neben Henesch 'Hintern' und wige neben wide 'weiter'. Und zuletzt gibt es Fälle, in denen nahegelegene Orte wie Bonn die velarisierte Form haben, die Grafschaft allerdings nicht: Kruk 'Kraut' in Bonn, aber Kruut in der Grafschaft. (Und dies ist eines der "Schlagwörter" in der Grafschaft: Die Produkte der Grafschafter Krautfabrik, wie Apfelkraut und Zuckerrübensirup.)

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Dörb 'Dorf' und En 'Ende' auf dem Wenkerbogen aus Leimersdorf (1887)
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Dörb 'Dorf' und En 'Ende' auf dem Wenkerbogen aus Leimersdorf (1887)

Neben diesen Unterschieden auf der Lautebene gibt es auch Differenzen auf der Wortebene. So verläuft quer durch die Gemeinde die Grenze zwischen nördlichem Lööf und südlichem Speische 'Dachboden': In den nördlichen Dörfern existieren beide Wörter nebeneinander, wobei Lööf als veraltet gilt, die südöstlichen Dörfer haben nur Speische. Bei den Wortpaaren Eapel - Jrompere 'Kartoffel' und träke - zeeje 'ziehen' verläuft die Wortscheide unmittelbar nördlich der Gemeinde. In allen Dörfern der Grafschaft werden die südlichen, moselfränkischen Begriffe Jrompere und zeeje verwendet, wohingegen in den nördlichen Nachbardörfer Altendorf, Meckenheim, Adendorf und Werthhoven die ripuarischen Formen Eapel und träke üblich sind.

Wie in vielen anderen Orten des Rheinlandes, ist auch in den Dörfern der Grafschaft in den letzten Jahrzehnten ein abnehmender Dialektgebrauch zu beobachten. Wer ihn in den Orten Birresdorf, Leimersdorf, Niederich und Oeverich noch spricht, kann hier nachgelesen werden.