Im Wingert (mehrfach im Rheinland)
Straßennamen können verschiedene Ursprünge haben: Sie können nach Orten in der Nähe benannt sein, aber auch nach alten Flurnamen, deren ursprüngliche, häufig mundartliche, Form erhalten geblieben ist und dann heute oft unverständlich scheint. Ein Beispiel ist der mehrfach im Rheinland belegte Straßenname Im Wingert: Ohne dialektale Kenntnisse lässt sich der Name kaum erschließen.
Ursprung des Wortes Wingert ist die Bezeichnung wîngarto; früheste Belege hierfür gibt es schon im 12. Jahrhundert (Dittmaier 1963): Dalewingart (1140, Bonn-Walberberg) oder Wingart = Weingarter (1140, Höfe bei Euskirchen-Kommern). Zugrunde liegt all diesen Belegen das lateinische Wort vînum, dessen Ursprung allerdings unbekannt ist. Auch in den darauffolgenden Jahrhunderten finden sich einzelne Nennungen: upten Wyngart (1455, Düsseldorf-Heerdt) sowie Wyngartzguet (1464, Düsseldorf-Oberrath). Wingert ist damit sprachhistorisch älter als Weinberg, das zuerst im 13. Jahrhundert erwähnt ist (siehe Steffens 2012).
Sprachhistorisch interessant ist der in wîngarto verwendete historische Langvokal î, der aufgrund eines Lautwandels im Deutschen in allen Wörtern zu ei wurde. In der Sprachwissenschaft bezeichnet man diesen Prozess als Neuhochdeutsche Diphthongierung: Aus den mittelhochdeutschen Wörtern bîl, îs, hûs und zît wurden so die uns bekannten Entsprechungen Beil, Eis, Haus und Zeit. Dieser Vorgang kann im Rheinland etwa ab dem 16. Jahrhundert beobachtet werden. Der Kurzvokal i in binden oder Kind hingegen blieb von dieser Entwicklung unberührt. Im Wort wîngarto wäre also der Wandel von î zu ei zu erwarten – wîn- zu Wein-. Allerdings liegt hier ein Sonderfall vor, wîn- (ohne Wandel zu -ei-) ist erhalten geblieben.
Auch wie aus dem Zweitglied -garto die Endung -gert wurde (siehe auch Am Bongert), ist durch einen Lautwandel zu erklären: Lange Zeit gab es im Deutschen kein festgelegtes Betonungsmuster, erst im Neuhochdeutschen (etwa ab 1650) wird die Betonung der ersten Silbe festgelegt: Sommer, Regen, Bogen, Flasche. Diese Regelung führte dazu, dass die unbetonten Silben (Nebensilben) immer weniger ausgesprochen, sozusagen geschwächt, wurden; die ehemals vollen Vokale in diesen unbetonten Silben (wîngarto) wurden so zu einem gemurmelten e-Laut (Schwa) oder fielen ganz aus. Aufgrund zahlreicher sprachlicher Wandelprozesse ging so im Laufe der Jahrhunderte die einstige Bildungsweise des Wortes wîngarto verloren; aus dem einst zweigliedrigen Wort {wîn}{garto} wurde ein fester einsilbiger Komplex {wingert}.