Verhofstad

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Jahrhundertelang gab es weder Straßennamen noch Familiennamen im deutschsprachigen Raum. Das war so lange kein Problem, wie Menschen anhand eines einzelnen Namens problemlos identifiziert werden konnten. Jede Person wurde also individuell benannt, Abstammungsverhältnisse wurden nicht in den Namen abgebildet und jede Person trug nur einen Namen. Das änderte sich allerdings etwa Ende des 12. Jahrhunderts, denn aufgrund der Bevölkerungszunahme und der damit einhergehenden Völkerwanderung in die großen Städte entstand ein Problem: Es gab schlicht zu wenig Namen, um die stark gestiegene Anzahl der Menschen individuell zu benennen. So konnte es passieren, dass man plötzlich drei Männer mit dem Rufnamen Johannes kannte oder aber mehrere Frauen, die Magdalena hießen. Daher vergabe man, um dieses Problem zu umgehen, sogenannte Beinamen – Namenszusätze, die den Träger oder die Trägerin nach ihrem Abstammungsverhältnis, ihrem Aussehen, ihren Eigenschaften oder auch ihrem Beruf kennzeichneten. Auch die Herkunft oder Wohnstätte einer Person konnte ausschlaggebend sein für die Benennung eines Menschen. Das ist der Fall etwa bei dem Familiennamen Verhofstad, den es in Deutschland nur sehr selten gibt und deren Träger:innen vor allem im Kreis Kleve, seltener auch im Kreis Viersen und auch in Niedersachsen in der Region Hannover zu finden sind (siehe geogen).

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So könnte ein Wohnplatz der Familie Verhofstad ausgesehen haben | © Aagnverglaser, CC BY-SA 4.0
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So könnte ein Wohnplatz der Familie Verhofstad ausgesehen haben | © Aagnverglaser, CC BY-SA 4.0

Was hat es nun mit diesem Namen auf sich, der niederländischen Ursprungs ist? Nun, zunächst lassen sich die Namenbestandteile Ver- und -hofstad ausmachen. Der erste Teil ist eine zusammengezogene Form aus der Präposition von und dem Artikel der (wie auch beim Familiennamen Verhoeven). Wann genau diese Zusammenziehung von von der > ver oder im Niederländischen van der > ver stattgefunden hat, ist nicht mehr eindeutig nachzuvollziehen. Niederländische Untersuchungen zeigen aber, dass ein Wandel im Antwerpischen Kempen etwa zwischen 1400 und 1450, in Herentals bereits ein Jahrhundert früher stattgefunden haben könnten (mehr dazu lesen Sie hier). Der zweite Teil des Familiennamens ist eine Bezeichnung, die im Mittelniederländischen typischerweise für einen Bauernhof verwendet wurde. Sie geht zurück auf die altniederländische Bezeichnung hofstedi ‚Stück Land, auf dem ein Hof steht oder stehen kann‘, im Mittelniederländischen ist die Bedeutung dann etwas ausgeweitet auf ‚Bauernhof mit Baugrund‘. Man nimmt an, dass die Bezeichnung hofstad mit der Organisation des Großgrundbesitzes in der fränkischen Zeit zusammenhängt. Vermutlich wurde sie als Bezeichnung von meist kleineren Parzellen, die vom Großgrundbesitzer an die unfreien Leute in Besitz gegeben wurden, bezeichnet. Der älteste Beleg für die Verwendung des Wortes hofstad findet sich in einer Urkunde aus dem 11. Jahrhundert: sidilia autem que hofstedi dicuntur ‚eine Siedlung, die hofstedi/Bauernhof genannt wurde‘. Auch im Deutschen ist die Bezeichnung Hofstatt‚ Gebäude eines Bauernhofs, Hofraum eines Bauerngehöfts‘ in einer Lautvariante belegt, allerdings deutlich seltener in Gebrauch.

Verhofstad bezeichnet also eine ehemalige Wohnstätte oder verweist auf die Herkunft einer Person und bedeutet so viel wie ‚von dem Bauernhof‘. Der erste Mensch, der diesen Beinamen erhielt, wohnte wohl an oder in einem Bauernhof, der die Region geprägt hat, denn da es noch keine Straßennamen gab, wählte man damals markante Kennzeichen eines Menschen oder Wohnortes aus, um ihn zu benennen. Da der erste Träger oder die erste Trägerin den Beinamen Verhofstad erhielt, muss dieser zugrundeliegende Bauernhof groß genug gewesen sein, um als Kennzeichen der Person geeignet gewesen zu sein.