Stinges

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Einige Familiennamen findet man im gesamten deutschen Sprachgebiet oder zumindest in weiten Teilen, andere hingegen sind exklusiv nur in einer Region oder gar einem Kreis anzutreffen. Um solch ein Beispiel handelt es sich bei Stinges, einem Familiennamen, der ausschließlich im Kreis Viersen belegt ist. Er geht zurück auf den Rufnamen Stinus, eine Kurzform des Namens Augustinus oder des Rufnamens Constantinus. In beiden Fällen wären dann die ersten Silben entfallen. Augustinus ist die verniedlichte Form des lateinischen Rufnamens Augustus (lateinisch augustus ‚erhaben, ehrwürdig‘), der seit Kaiser Octavius Caesar von allen römischen Kaisern als Beiname verwendet wurde. Römische Kaiserinnen nahmen in gleichem Maße den Beinamen Augusta an. Möglich ist auch, dass dem Familiennamen Stinges der Rufname Constantinus (lateinisch constans ‚standhaft, beharrlich, ausdauernd‘) zugrunde liegt. Erster Träger dieses Namens war wohl Konstantin der Große, nach dem auch die Verbreitung des Namens zugenommen hat.

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Ob der Name auf Augustus zurückgeht? | © Bild-frei
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Ob der Name auf Augustus zurückgeht? | © Bild-frei

Stinges ist eine typisch rheinische Lautvariante des Rufnamens Stinus: Der Wandel n > ng wird auch als rheinische Velarisierung bezeichnet und ist ebenso in Familiennamen wie Frings zu finden. Nach der Übernahme des Namens Augustinus in die deutsche Sprache (und in diesem Fall in die rheinischen Dialekte) wurden dessen Endung -us zu -es abgeschwächt; diese abgeschwächte Variante ist auch bei vielen Kurzformen von Männernamen wie Drickes, Bertes oder Mattes in den Mundarten des Rheinlandes gängig. Die Endung -ge zeigt zudem an, dass der Familienname von einer Koseform des Rufnamens abgeleitet wurde. Wollte man also jemandem schmeicheln oder ihn vertraulich, liebevoll anreden, hängte man an den Namen die Endung -ge (teilweise auch -je). Und im Falle von Stinges folgt noch eine weitere Endung – das -s am Ende zeigt an, dass es sich um ein Abstammungsverhältnis handelt. Bis ins 12. Jahrhundert genügte es, einen einfachen Namen (Rufnamen) zu tragen, um Menschen voneinander unterscheiden zu können. Mit dem Bevölkerungswachstum und dem Zuzug in die Städte konnte es allerdings passieren, dass plötzlich mehrere Menschen mit demselben Namen aufeinander trafen – eine Unterscheidung war so nahezu unmöglich. Man griff damals auf den Trick der Beinamen (die später zu unseren heutigen Familiennamen wurden) zurück und benannte Menschen nach ihrem Wohnort, Beruf oder nach markanten Eigenschaften. Zudem konnte aber auch der Vater (seltener auch die Mutter) als Identifikationsmerkmal herhalten. Um dieses Abstammungsverhältnis auszudrücken, griff man auf Konstruktionen wie Jan Stinges Sohn ‚Jan ist der Sohn eines Mannes mit dem Namen Stinge‘ zurück; das angehängte -s ist eine alte Genitivform (wie etwa bei des Regens oder des Lebens), die bis heute in den Familiennamen erhalten geblieben ist. Auch in den Niederlanden sind noch Menschen mit dem Familiennamen Stinges zu finden.

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Auch der Rufname Constantinus könnte Grundlage für Stinges sein. | © Classical Numismatic Group, Inc., CC BY-SA 2.5
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Auch der Rufname Constantinus könnte Grundlage für Stinges sein. | © Classical Numismatic Group, Inc., CC BY-SA 2.5