„Dat Portal“ op Jück: Münster

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Tagungen zu besuchen ist ein wichtiger Teil der wissenschaftlichen Arbeit und dient nicht nur der Weiterbildung, sondern auch dem fachlichen Austausch und der Knüpfung von neuen Kontakten. Am 11. Mai befand sich also das gesamte Sprachteam des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte im Intercity der Deutschen Bahn auf dem Weg nach Münster in Westfalen.

Als gebürtige Münsteranerin war es für mich eine ganz besondere Freude, wieder in die heimatliche Domstadt zurückzukehren – wenn auch nur für zwei Nächte.

Natürlich kamen wir nicht drum herum, die verschiedensten Kirchen in Münsters Innenstadt (zumindest von außen) zu besichtigen, wobei sich unsere Gespräche weniger um die Gebäude als den Begriff selbst drehten.

Die Fehde um die richtige Aussprache von Kirche wird wohl auf ewig das Bundesland trennen. Im Rheinland hören wir vor allem ein dumpferes i, gefolgt von einem beinahe ch-artigen r-Laut, und danach wiederum einen Laut, der eher wie sch als wie ch klingt. Die Verwechslungsgefahr zwischen Kirche und Kirsche ist demnach für Außenstehende groß.

Reisen wir jedoch weiter nördlich und kehren dem Rhein den Rücken, landen wir in Westfalen und schließlich in Münster, wo das i ganz scharf und weit vorne im Mundraum gebildet wird. Von dem nachfolgenden r ist keine Spur zu hören, stattdessen steht an seiner Stelle ein Schwa, ein Vokal, der wie eine Mischung aus e und a zu verstehen ist. Normalerweise finden wir ihn am Ende von Mitte oder Sonne. Und da das Westfälische den ch-Laut wie im Standarddeutschen artikuliert, entsteht daraus Kiache als Gegenstück zum rheinischen Kürsche.

Das bringt meine rheinländischen Kolleginnen dann dazu zu kommentieren, dass das Wort schließlich kein a enthält, also Kiache gar nicht sein kann, während ich als Westfälin natürlich kontere mit dem Argument, dass ja auch kein ü in dem Wort geschrieben steht.

Ein ewiger, gutmütiger und nicht ernst gemeinter Kampf um die „korrekte“ Aussprache von Kia… Kür… also, dem Gotteshaus.

Diese r-Vokalisierung bewirkt, dass nach einem Vokal das r zu diesem a-ähnlichen Laut wird bzw. eine Längung des vorangehenden Vokals zur Folge hat, ist übrigens ganz regelmäßig. So wird auch Kurt Kuat, aus Gerte Geate, und aus Burg Buach, mit weichem ch gesprochen, wie in ich.

Letzteres ist gleichzeitig auch ein Beispiel für eine weitere sprachliche Eigenheit, die wir im Münsterland beobachten können, nämlich die sogenannte g-Spirantisierung.

Hierbei wird ein g am Silben- oder Wortende (auch vor Konsonanten) zu ch. So hören wir Zeuch statt Zeug in Münster, oder er reecht sich auf statt er regt sich auf. Das führt dann dazu, dass Teich und Teig genau gleich klingen und es hier auch hin und wieder zu Verwirrungen kommt. Vor allem, wenn man jemanden, der am Backen ist und ein stehendes Gewässer im Garten hat, fragt, was in dem Teich sei.

Im Plural verschwindet dieses ch aber wieder, schließlich wissen wir ja von der Schriftsprache, dass da eigentlich ein g steht: Teich, aber TeigeZuch, aber Züge. Weech, aber Wege. Pfirsich, aber Pfirsige – Halt, Moment! Da war das ch am Ende doch tatsächlich richtig.

Das münsterländische Platt geht sogar noch einen Schritt weiter und spirantisiert konsequent alle g’s, auch an Wortanfängen.

Aber obgleich das Platt in Münster selbst eigentlich gar nicht mehr gesprochen wird und höchstens noch in äußeren Bezirken, Mundarttheatern, Heimatvereinen oder auf Plakaten Verwendung findet, gibt es doch in Straßennamen, Ortsteilnamen und auch Familiennamen immer noch Überreste.

Steigen wir dort in die Buslinie 6 Richtung Hiltrup, kommt man direkt an zwei Haltestellen vorbei, die das Wort Lodde im Namen tragen: Loddenheide und schließlich Loddenweg. Der Begriff bedeutet ‚Spross‘, ‚Sprössling‘, oder einfach ‚junger Trieb‘. Daher wenig verwunderlich, dass er in Kombination mit -heide und in dem Straßennamen An den Loddenbüschen mit einem weiteren Gewächsbegriff steht.

In die ähnliche Richtung hinaus geht es mit der Linie 8, die jedoch am Gremmendorfer Weg abbiegt in den Stadtteil Angelmodde. Dieser Ortsname reimt sich nicht nur mit dem uns bereits begegneten plattdeutschen Wort Lodde, darin findet sich auch der münsterländische Begriff Modde, was ‚Schlammerde‘, ‚Morast‘ oder ‚Dreck‘ bedeutet.

Man könnte also meinen, dass wir es hier mit einem schlammigen, dreckigen Gebiet an dem Fluss Angel zu tun haben. Schauen wir allerdings einmal in die Geschichte des Stadtteils, stellen wir fest, dass dieser Ort 1175 als „Angelmudden“ bekannt war. Dabei bedeutet mud oder mund hier so viel wie ‚Mündung‘, wörtlich demnach ‚Mündung der Angel‘, die in Angelmodde in die Werse mündet.

Für ein Käffchen und vielleicht auch ein Stück Kuchen, das weiß jede:r Münsteraner:in, lässt es sich immer gut bei der Bäckerei Krimphove einkehren. Am Nachbartisch sitzen zwei junge Personen und unterhalten sich über eine Arbeitskollegin. „Ach“, sagt die eine, „ich dachte, sie wäre älter als du!“ – „Nee, wir tun uns nicht viel“, erwidert die andere daraufhin mit einer typischen Münsteraner Redewendung. Damit wird ausgedrückt, dass man in etwa gleichalt ist, oder sich – je nach Kontext – auch in anderen Dingen nicht (stark) unterscheidet. Es ist eine direkte Übersetzung des ursprünglich plattdeutschen Ausdrucks Wi doht us nich viel.

Schließlich müssen wir uns von Münster wieder verabschieden. Die Tagung ist vorbei, aus dem Hotel haben wir ausgecheckt, und jetzt stehen wir am Bahnhof, während wir auf unsere jeweiligen Züge warten, die uns nach Hause bringen sollen. Und auch wenn unsere Zielbahnhöfe nicht die gleichen sind, freuen wir uns schon darauf, uns am Montag wieder im Büro zu sehen. Denn eigentlich ist es ja egal, ob wir aus dem Rheinland kommen oder aus Westfalen. Am Ende tun wir uns da eh nicht viel.

Bild
Blick über Münster: im Vordergrund sind viele rote Dächer, im Mittelgrund sieht man links den Dom und rechts den Kirchturm des St. Lamberti über die Dächer ragen.
Bildunterschrift
Blick auf den Dom und die St.-Lamberti-Kirche in Münster